Cassandras Kopfkino
Montag, 26. November 2007
WENN EINE EINE REISE MACHT
cassandra, Montag, 26. November 2007, 15:14
Filed under: Auf Reisen
Fünf Länder in vier Tagen. Wann hat man schon einmal die Chance, auf Firmenkosten zu einem schnuckeligen kleinen Roadtrip aufzubrechen?
Ursprünglich hatte meine Schweizer Lieblingsagentur zu einer großen Party geladen. Mein Chef verdonnerte mich nicht unbedingt gegen meinen Willen, daran teil zu nehmen und nebenbei noch ein paar Akquisetermine in Zürich und Umgebung mitzunehmen.
Diese Arbeitstour wollte ich gleich mit ein paar angenehmen, privaten Unternehmungen anreichern. Und was tut ein Mädchen, wenn es mal so richtig Spaß haben will? Richtig: shoppen und alte Industriebaracken zum Zwecke des Abfotografierens aufsuchen. Nur ich, ein Mietwagen, ein riesiger Kofferraum, drei Kameraausrüstungen, ausreichend gute Musik und die entzückende Schweizer Landschaft. Kopf freipusten, endlich mal wieder ein paar Bilder schiessen und mir eine hübsche Wintergarderobe zulegen.

Man kann mir nicht wirklich unzulängliche Planung vorwerfen. Vorbildlichst hatte ich meine Route recherchiert und mit Bildern angereichert fein säuberlich in einem Word Dokument dargestellt.
Am Mittwoch wollte ich in aller Ruhe über Zweibrücken und Metzingen mit dem Mietwagen nach Zürich fahren. Donnerstag und Freitag dann Akquise einschließlich der besagten Party am Donnerstagabend, bevor ich dann am Freitagabend nach Bregenz, einer hübschen, österreichischen Stadt am Bodensee (mit einem ehemaligen Militärbad direkt am See, welches nachts eine attraktive Fotolocation abgeben würde und einem Wolford und einem Röckl Lagerverkauf) reisen würde. Am Samstag ginge es dann zurück in die Schweiz und über Frankreich und Luxemburg zurück gen Heimat. Ich hatte mir 14 verlassene Industrieruinen aus dem Netz gefischt, von denen ich zwar nicht wusste, ob sie noch standen, die aber, falls dies der Fall sein sollte, nicht nur für schöne Fotos, sondern auch für ordentlich Nervenkitzel sorgen würden.
Ich träumte von romantischen, schneeverwehten Berghängen, unbeschreiblich preiswerten Designerklamotten und Abenteuern beim Klettern durch zerbrochene Fensterscheiben.
Am Mittwoch dann die erste Ernüchterung. Rheinland Pfalz, Baden Württemberg und nicht zuletzt die Schweiz hatten beschlossen, ausgerechnet zum Start meiner kleinen Tour den Wintereinbruch zu feiern. Temperaturen unter Null Grad, Schneeregen, Stau und ich in einem Auto, dass lediglich mit Sommerreifen ausgestattet war.
Trotzdem erreichte ich irgendwann, schlecht gelaunt und hinter meinem Zeitplan herhinkend Zweibrücken und später auch Metzingen. Mein Geldbeutel blieb jedoch weitest gehend verschont. Paradoxerweise führte dies zu einer enormen Steigerung des Frusts. Vor ein paar Jahren noch verliess ich die Outletcenter von Boss und Strenesse in Metzingen voll bepackt mit einem seligen Grinsen im Gesicht. Doch nun hätte man für das gleiche Investitionskapital gerade einmal ein Kleidungsstück erwerben können. Die Preise haben dermassen angezogen, dass man nur fassungslos den Kopf schüttelnd an den Regalen vorbei flanieren kann.
Gegen 20 Uhr gab ich dann notgedrungen auf und stapfte durch den Schnee auf der Suche nach meinem Parkhaus. Welches verschwunden schien. Fluchend bog ich in eine sehr dunkle Hintergasse ein und hielt verzweifelt nach Wegweisern Ausschau. Ich war vollkommen allein in diesem Gässchen. Es handelte sich wohl um eine rückwärtige Lieferanteneinfahrt mit schmaler Strasse und einem Fussgängerweg, auf dem ich dahintippelte. Um den Weg etwas abzukürzen, lief ich quer über den Fussgängerweg auf die Hauswand zu. Neben dem Weg sah ich lediglich eine schwarze Fläche, ging jedoch großzügig über diesen Eindruck hinweg. Als mein Fuss diese Fläche, bei der es sich höchstwahrscheinlich um eine das Licht nicht reflektierende Pfütze handelte, betrat, trat mein Fuss ins Nichts. Falls sich doch jemand in dieser Gasse aufhielt, muss er sich sehr über diese Szene gewundert haben. Von einer auf die andere Sekunde hatte es mich von der Bildoberfläche gefegt. Direkt vom Bürgersteig ging es abwärts. Im Prinzip war der Rand des Weges gleichzeitig die obere Kante einer Mauer, die eine Art Tiefgarageneinfahrt (nicht die von mir gesuchte) verbarg und ich lag mit aufgeschlagenem Knie plötzlich eineinhalb Meter tiefer auf der Erde.
Noch lauter fluchend mit einem Riss in der Hose und einem neu gewonnenen Humpeln fand ich endlich mein Parkhaus und den Wagen und machte mich auf den Weg gen Zürich.
Ich saß gerade einmal 5 Minuten im Auto, hielt gerade an einer roten Ampel und hing meinen Gedanken nach (die sich im großen und ganzen darum drehten, dass ich wenig Lust verspürte, noch einmal drei Stunden im Dunklen und bei Schneefall auf der Autobahn zu verbringen), als plötzlich etwas sehr laut rummste und meinen Kopf nach vorne schleuderte. Im ersten Augenblick wusste ich überhaupt nicht, was los war. Vielleicht war ein Haus am Straßenrand umgefallen und ausgerechnet auf meinem Auto gelandet. Ich sah mich um und stellte fest, dass sich das hinter mir stehende Auto recht dicht hinter mir befand. Mit zittrigen Fingern öffnete ich die Tür und stieg aus. Vermutlich stand ich ein wenig unter Schock, denn ich starrte nur auf dieses andere Auto, dass sich an meiner Stoßstange befand. Der junge Fahrer erklärte mir, wir müssten die Straße frei machen und den Schaden auf einem in der Nähe gelegenen Parkplatz begutachten. Das taten wir dann auch. Es stellte sich heraus, dass die Bremsen des jungen Mannes komplett versagt hatten, als er mit ordentlich Schwung in mich hineinfuhr. Da ich die Handbremse angezogen hatte, bewegte sich mein Auto zum Glück keinen Zentimeter (andernfalls wäre ich meinem Vordermann auch noch hinten rein gerasselt), dafür übertrug sich vermutlich die gesamte mechanische Energie direkt in meine Wirbelsäule. Auf dem Parkplatz angekommen, beugte ich mich mit Ohrensausen und einem kleinen Hauch von Brechreiz über meine Stoßstange, konnte jedoch nichts erkennen. Der junge Mann war ebenfalls der Meinung, dass es keinen sichtbaren Schaden gäbe und wollte sich von dannen machen, als ich ihn darauf hinwies, dass es sich erstens: bei diesem Parkplatz um einen unbeleuchteten handelte und ich zweitens: bei einem Unfall mit einem Mietwagen definitiv die Polizei rufen müsste. Der junge Kerl war ein wenig angesäuert, doch als die Polizei mit eigenem Licht vorbei schaute, entpuppte sich die Stoßstangen als zerkratzt und verbeult.

Ich kam dann noch irgendwie nach Zürich. Sogar einigermassen heil. Das Knie tat höllisch weh, mein Kopf stand kurz vor dem Zerbersten, das Make up war im Zuge einiger Selbstmitleidskrisen verschmiert. Um 1 Uhr checkte ich im Hotel ein. Im romantisch verklärten Licht meiner Vorbereitungen hatte ich mich für ein Hotel mit Blick über ganz Zürich entschieden. Vermutlich wäre ich bereits eine halbe Stunde früher in meinem Bett eingetroffen, doch die 5km auf Serpentinenstrassen den Berg hinauf kosteten wertvolle Zeit. Da mein erster Termin am nächsten Morgen ausgerechnet in Bern stattfand, ich besagten Berg auch wieder herunterfahren musste und man auf Grund der Wetterverhältnisse einen morgendlichen Stau einkalkulieren musste, war ich bereits nach 4,5 Stunden Schlaf wieder auf den Beinen.
Nach 2 stündiger Fahrt traf ich gerade noch rechtzeitig in Bern ein. Es war mein erster Akquisetermin und er barg das Potential, auch mein letzter zu sein. Nach gerade mal 5 Minuten war der junge Mann kurz davor, mich hinaus zu werfen. Offensichtlich hatten wir beide sehr unterschiedliche Vorstellungen von der Art dieses Gespräches. Im Prinzip lag es in meiner Intention, unsere Firma und die Arbeiten der Niederlassungen in Berlin, Hamburg und Düsseldorf vorzustellen. Verständlich, dass ich nicht alle diese Projekte eigenhändig betreut hatte. Der Typ von der Agentur war jedoch der Meinung, dass es ihm nichts brächte, sich Werbespots anzusehen, die ich nicht selbst produziert habe. Nach einigen beschwichtigenden Worten und unter Aufbringung sämtlichen Charmes, der mir geblieben war, durfte ich dann jedoch ganze anderthalb Stunden bleiben und plaudern. Schweiss gebadet machte ich mich später auf den Rückweg.
In den folgenden Stunden tingelte ich von Agentur zu Agentur. Die Termine verliefen recht gut, ich konnte mich jedoch kaum bewegen, geschweige denn klar denken. Mein Kopf tat noch mehr weh, als am Vortag, der gesamte Nacken und Rücken war steif und jede Bewegung liess mich aufstöhnen.
Auf Anraten meines Chefs suchte ich gen Abend nach Vollendung des letzten Gesprächs die Notaufnahme des Züricher Universitätskrankenhauses auf. Die folgenden 3,5 Stunden in der Notaufnahme möchte ich einfach mal unter Verschwendung von wertvoller Lebenszeit verbuchen.
Da ich aufrecht gehen und stehen konnte, war ich wohl eindeutig nicht erst zu nehmen. Auf die Frage, wie schmerzhaft ich meine Kopfschmerzen auf einer Skala von 1 bis 10 einstufen würde, entschied ich mich für eine 3, nachdem ich der Assistenzärztin lang und breit von meiner Krankenhausgeschichte dieses Jahr berichtet hatte. Ich erklärte ihr, dass der Begriff „Kopfschmerz“ nach 10 (oder waren es 11?) Operationen am Kopf vollkommen neue Dimensionen annimmt und wies sie auch darauf hin, dass ich, sobald mein Augeninnendruck zu hoch wird, Kopfschmerzen bekomme. Vielleicht hätte ich diese ganze Augengeschichte gar nicht erwähnen sollen, aber man gab mir eindeutig das Gefühl, mich für meine Anwesenheit in der Notaufnahme rechtfertigen zu müssen. Daher wies ich darauf hin, dass ich in Hinblick auf meine Vorgeschichte sämtliche „Unfälle“ in Verbindung mit meinem Kopf zu untersuchen gedenke, um mögliche Komplikationen in Zusammenhang mit dem Druck in meinem Kopf zu vermeiden.
Man entliess mich mit einem Schreiben, dass lediglich bescheinigte, dass „die Patientin über geringes Kopfweh klagt, das bereits vor dem Unfall bestand“ und zwei Paracetamoltabletten.
In der Zwischenzeit hatte natürlich bereits längst die Party angefangen, auf Grund derer ich eigentlich nach Zürich gekommen war.
Ich verliess die Notaufnahme und trat nach draussen, wo sich mal wieder weisse Flocken den Weg gen Erde bahnten. Leider war mir der Name meines Parkplatzes entfallen. Leute, die bereits einmal auf dem Uni-Gelände in Zürich weilten, können mir sicher beipflichten, wenn ich an dieser Stelle behaupte, dass es sehr groß und sehr unübersichtlich ist und über bestimmt acht Besucherparkplätze verfügt. 15 Minuten lang rannte ich in eisiger Kälte durch die Gegend, selbst wenn ich gewusst hätte, welche Bezeichnung mein Parkplatz trug, hätte ich niemanden fragen können, weil das Gelände vollkommen verlassen danieder lag.
Irgendwann gab ich auf und tat das einzig Sinnvolle. Ich lief zum Haupteingang zurück und lief exakt den Weg, den ich bei meinem Eintreffen genommen hatte. Das bedeutete zwar, dass ich durch den Haupteingang, kilometer-lange Flure entlang, durch die Cafeteria, 2 Treppen runter und dann noch mal querfeldein ein ganzes Stück über den Rasen laufen musste, aber wenigstens konnte ich mich an den Weg erinnern und auf diese Weise mein Auto wiederfinden.
Leider hatte die Cafeteria bereits geschlossen und somit war mir der Weg abgeschnitten. Ich fragte einen sehr hektisch wirkenden jungen Arzt, ob es einen anderen Ausgang in der Nähe gäbe und er verwies mich an eine Tür, die jedoch leider ebenfalls bereits zu war. Sehr unwirsch erklärte er mir daraufhin, ich müsse mich zum Hauptausgang zurück begeben. Trotzig wiederholte ich mein Anliegen, einen anderen Ausgang, als den Hauptausgang zu suchen, da ich von dort aus ganz sicher mein Auto niemals wieder finden würde. Daraufhin meinte der junge Arzt sehr zickig, dass dies nicht sein Problem wäre und wendete sich seinen eigentlichen Gästen zu, einer kleinen Gruppe junger Leute, die in einem Wartebereich zusammen hockten. Ich wollte dem Arzt gerade eine mehr oder minder zickige Antwort hinterher rufen, als ich bemerkte, dass die jungen Leute, mit denen er sprach alle weinten und sich in den Armen hielten. Ich schluckte meine Reaktion herunter und mir schossen ebenfalls die Tränen in die Augen. Schniefend und triefend vor Selbstmitleid, „Ich will nach Hause. Ich will zu meiner Mama.“ wie ein Mantra vor mich hinflüsternd, lief ich zurück zum Haupteingang und baute mich vor einem Kerl am Infoschalter auf. Vollkommen entgeistert starrte der auf dieses schluchzende, heulende Bündel, das einst eine erwachsene Frau darstellte, die zwischen ihrem jämmerlichen Gestammel ab und zu die Wörter „Auto. Weg. Parkplatz. Weg.“ verlauten liess. Mir war mein Auftreten selbst ein klein wenig peinlich, aber mein Leben verlief gerade hochgradig Scheisse und das von anderen Menschen war offensichtlich noch beschissener und wenn man dann auch noch zu doof ist, sich seinen Parkplatz zu merken nicht mal sein Auto findet, darf man ruhig mal heulen.
Der gute Mann hinter dem Tresen war sehr verständnisvoll und – was man ihm hoch anrechnen konnte – verfügte über einen Übersichtsplan. Gemeinsam versuchten wir meine Wege nach zu vollziehen und konnten uns auf einen möglichen Parkplatz einigen. Der sich sogar als richtig herausstellte.

Als nächstes begab ich mich zu der Party. Schon beim Betreten selbiger schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass es ziemlich bescheuert ist, auf eine Party zu gehen, auf der sich 150 Leute ausgesprochen gut unterhalten und man keinen einzigen davon kennt. Ich kannte gerade mal eine Person, die aber Hauptgastgeber war und daher andere Verpflichtungen hatte, als mich bei der Hand zu nehmen. Tapfer lief ich zwei Stunden lang mit einem Lächeln und der Hoffnung beseelt durch die Gegend, irgendwer würde mich ansprechen und sich mit mir unterhalten. Leider vollkommen ergebnislos. Also begab ich mich zurück in mein Hotel in den Bergen und verfiel augenblicklich in den wohlverdienten Schlaf.

Mein erster Termin am nächsten Morgen war erst um 11 Uhr. Ausgeschlafen und mit klarem Kopf erwachte ich am nächsten Morgen. Die Rückenschmerzen hatten sich ebenfalls verzogen, Sonnenlicht flutete durch die Hotelzimmervorhänge und die Strassen waren trocken und von Eis und Schnee befreit. Ich atmete tief durch und beschloss, dass ab sofort alles gut wäre, dass ich am Abend trotz allem nach Österreich fahren würde und die versprochenen schönen Tage nachholen würde.
Ich putze Gesicht, Zähne und Brille. Letztere glitt mir jedoch aus der Hand und das rechte Glas zersprang in tausend Splitter. Geschlagene fünf Minuten starrte ich mein eigenes Spiegelbild an und überlegte, was ich nun machen sollte. Das linke Glas war noch intakt, aber da ich mich immer noch nicht an den Gedanken gewöhnt hatte, für den Rest meines Lebens gezwungener Massen auf Kontaktlinsen verzichten zu müssen, hatte ich mich immer noch nicht um eine vernünftige Brille gekümmert. Die jetzige hatte mehrere Jahre auf dem Buckel und war ursprünglich dem nächtlichen Lesen vorbehalten. Die Stärke im linken Glas lag um eine ganze Dioptrie unter der, die ich eigentlich bräuchte, das rechte Auge war dank der durch die Operationen verbliebenen 60% Sehkraft ohne Sehhilfe quasi blind. Autofahren war also vollkommen unmöglich. Zurück zu fliegen war angesichts von drei Kameraausrüstungen, die keinesfalls als Handgepäck durchgingen, ebenfalls ausgeschlossen. Ich durchwühlte meine Waschtasche und wurde fündig. Obwohl ich sie nicht mehr brauchte, hatte ich tatsächlich nie meine Kontaktlinsen ausgepackt. Obwohl mein Arzt mir ausdrücklich verboten hatte, je wieder Kontaktlinsen zu tragen, blieb mir nichts anderes übrig, als sie reinzumachen.
Ich rasselte meine restlichen Akquisetermine im Schnellverfahren herunter und sprang nach dem letzten ins Auto. Nach Hause. Den Rest des Wochenendes verbrachte ich im Bett.
Meine nächste Tour werde ich definitiv nicht allein unternehmen. Entweder muss der Liebste mitkommen oder eine Arbeitskollegin. Hauptsache, jemand ist bei mir, bei dem ich mich ausheulen kann, der notfalls den Wagen lenkt, sich merkt, wo ich parke und mir auf Partys Gesellschaft leistet. Vielleicht kann ich dann auch ein wenig nebenbei fotografieren und shoppen gehen.

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