DAS SCHLARAFFENLAND DES KANINCHENMANNS
oder: Eine nachgereichte Weihnachtsgeschichte, die nirgendwohin will
oder: Eine nachgereichte Weihnachtsgeschichte, die nirgendwohin will
cassandra, Samstag, 31. Dezember 2005, 18:33
Filed under: Begegnungen
Er sitzt ganz alleine in einer dieser runden, mit rotem Leder bezogenen Sitzecken. Ich schau’ ein wenig neidisch hinüber, da alle anderen Sitzplätze belegt sind. Er scheint recht klein zu sein, wirkt aber vielleicht auch nur so, weil er wie eine nasse Rolle Küchenpapier in sich zusammengesunken ist. Sein Blick wandert desinteressiert unter seinen alkoholschweren Lidern hin und her. Die heruntergezogenen Mundwinkel gehen in tief ins Kinn eingegrabene Falten über und verleihen seinem Gesicht etwas kaninchenhaftes. Das dünn gewordene Haar trägt er sehr sorgfältig gescheitelt. Seine ganze Erscheinung hat etwas derart trostloses, dass ich ihn sicherlich überreden könnte, die Ecke für unsere kleine Gruppe zu räumen. Die anderen wollen jedoch lieber an einem kleinen Tresen stehen. Die zwei Buchhalterinnen werfen sich einen gehetzten, unsicheren Blick zu. Die stehende Position lässt ihnen die Möglichkeit, jeden Moment die Flucht zu ergreifen, falls Ihnen das Ambiente und die Menschen, die sie umgeben, doch nicht geheuer sein sollten. Der Chef schmeisst eine großzügige Runde. Verhaltene Ausdrücke des Wohlwollen, doch nach wie vor skeptische Gesichter, die Blicke peinlich berührt von der Tanzfläche abgewandt, in den Händen ein Glas Champagner, das ein wenig Halt gibt.
Der Kaninchenmann schlürft an uns vorbei in Richtung der Bar. Ohne den Grund zu kennen, werfe ich ihm ein Lächeln in den Weg. Er bleibt vor mir stehen und greift nach der Tischkante, um seinen Stand zu stabilisieren. Die Mundfalten verziehen sich ebenfalls zu einer Art Lächeln. Er mustert mich flüchtig, wirft dann einen trägen Blick in die Runde meiner Begleiterinnen und streicht dann die Falten in seinem Jacket glatt. „Darf ich Ihnen ein Glas Champagner ausgeben?“ Während er mich fragt, drückt er die Schultern nach hinten und richtet sich ein wenig auf. Trotzdem reicht er mir lediglich bis zum Kinn. Ich überlege für einen Moment. Der Champagner ist unverschämt teuer in diesem Laden. So teuer, dass man ein Glas fast mit einer Art Versprechen gleich setzen kann. Ein volles Glas aus der letzten Runde steht noch immer vor mir. Trotzdem nehme ich die Einladung an und finde mich mit der Verpflichtung zu einer Unterhaltung ab. Ich weiss nicht warum. Ich habe weder Lust auf Champagner, noch auf ein Gespräch mit einem kleinen, betrunkenen, alten Mann. Vielleicht macht mich dieser ganze Weihnachtsrummel sentimental.
Ich stosse mit ihm an und schüttle seine kleine weiche Hand. “Ich bin Cassandra.“
Der Kanichenmann heisst Oliver, ist 57 Jahre alt und hat eine Firma, die Sachen exportiert. Er versucht, mir von seinen unzähligen Reisen nach Afrika zu erzählen. Beschämt senkt er den Blick, als er bemerkt, dass ihm die richtigen Worte, die seiner Begeisterung für diesen Kontinent Ausdruck verleihen könnten, nicht einfallen wollen.
Ich frage ihn, ob er oft hier ist. Er bejaht. Mir fällt nichts mehr ein, worüber ich noch mit ihm sprechen könnte. Deshalb frage ich nach dem Grund, obwohl die regelmässigen Besuche in einer Table Dance Bar wohl kaum eine Begründung erfordern. “Wegen der Frauen?“
“Ach nein. Ich bin fast 60. Ich habe schon viele nackte Frauen in meinem Leben gesehen. Das interessiert mich nicht mehr. Ich komme hierher, um Menschen kennenzulernen und mich mit Ihnen zu unterhalten.“
Mit einer wegwerfenden Handbewegung deutet er auf unsere kleine Gruppe. “Was machen Sie hier?“ Ich erkläre ihm, dass wir gerade von der Weihnachtsfeier unserer Firma kommen und nun noch einen Absacker trinken wollten. “Nur Frauen?“
„In unserer Firma arbeiten fast nur Frauen. Bis auf meinen Chef. Das ist der dort hinten.“
„Ach. Melanie. In meiner Firma arbeiten nicht so viele Frauen. Und schon gar nicht so schöne.“
„Ich heisse Cassandra.“
„Oh. Ich hatte mal eine Freundin, die hiess Cassandra. Sie war meine erste große Liebe. Sie war sehr schön. Manchmal denke ich noch an sie.“
„Warum haben Sie sich getrennt?“
Er zuckt gleichgültig mit den Schultern. Mit stumpfem Blick schaut er gedankenverloren in Richtung Bühne, wo eine Frau gerade breitbeinig eine Stange herunterrutscht. Er schaut zurück zu seinem Glas, welches er unaufhörlich im Kreis dreht.
Kurz bevor unsere Unterhaltung einzuschlafen droht, gesellt sich mein Chef – vermutlich in dem ritterlichen Glauben, mir zur Hilfe zu eilen - zu uns.
Er stellt sich Oliver vor, legt dann besitzergreifend den Arm um mich und drückt mit einen Kuss auf die Wange.
Staunend weiten sich Olivers Augen: “Sie küssen ihre Angestellten?“
„Ja. Ich habe zu allen Angestellten in der Firma ein sehr inniges Verhältnis.“
„Bei uns in der Firma habe ich noch nie eine Angestellte geküsst. Aber da arbeiten auch nicht so viele Frauen.“
„Ich stelle prinzipiell nur Frauen ein. Die sind viel netter als Männer.“ Bewundernd lässt Oliver seinen Blick über unser Grüppchen schweifen.
Angeregt plaudert mein Chef mit Oliver über die Vorzüge weiblicher Angestellter. Seine Gesten wirken lebendig, ungläubig schüttelt er den Kopf. Ich bemerke ein Leuchten in den Augen des Kaninchenmannes, als ich mich wieder meinen Kolleginnen zuwende, die mittlerweile Gefallen an dem Geschehen auf der Bühne gefunden haben.
Wir reden ein wenig über die Vorzüge und Nachteile plastischer Chirugie und bringen die Dollarnoten, die uns unserer Chef großzügig überlassen hat, unter’s Volk.
Als der Geldstapel abgearbeitet ist, beschliessen wir, nach Hause zu gehen. Wir sind fast die letzten Gäste. Der Kaninchenmann sitzt wieder allein in seiner roten Lederecke und dreht sein Glas.
Ich gehe zu ihm rüber, bedanke mich noch einmal für den Champagner und reiche ihm die Hand zum Abschied. Mühsam steht er auf, lächelt mich müde an und plötzlich beuge ich mich über den Tisch und drücke ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Bevor er reagieren kann, drehe ich mich um und folge den anderen durch die Ausgangstür.
Der Kaninchenmann schlürft an uns vorbei in Richtung der Bar. Ohne den Grund zu kennen, werfe ich ihm ein Lächeln in den Weg. Er bleibt vor mir stehen und greift nach der Tischkante, um seinen Stand zu stabilisieren. Die Mundfalten verziehen sich ebenfalls zu einer Art Lächeln. Er mustert mich flüchtig, wirft dann einen trägen Blick in die Runde meiner Begleiterinnen und streicht dann die Falten in seinem Jacket glatt. „Darf ich Ihnen ein Glas Champagner ausgeben?“ Während er mich fragt, drückt er die Schultern nach hinten und richtet sich ein wenig auf. Trotzdem reicht er mir lediglich bis zum Kinn. Ich überlege für einen Moment. Der Champagner ist unverschämt teuer in diesem Laden. So teuer, dass man ein Glas fast mit einer Art Versprechen gleich setzen kann. Ein volles Glas aus der letzten Runde steht noch immer vor mir. Trotzdem nehme ich die Einladung an und finde mich mit der Verpflichtung zu einer Unterhaltung ab. Ich weiss nicht warum. Ich habe weder Lust auf Champagner, noch auf ein Gespräch mit einem kleinen, betrunkenen, alten Mann. Vielleicht macht mich dieser ganze Weihnachtsrummel sentimental.
Ich stosse mit ihm an und schüttle seine kleine weiche Hand. “Ich bin Cassandra.“
Der Kanichenmann heisst Oliver, ist 57 Jahre alt und hat eine Firma, die Sachen exportiert. Er versucht, mir von seinen unzähligen Reisen nach Afrika zu erzählen. Beschämt senkt er den Blick, als er bemerkt, dass ihm die richtigen Worte, die seiner Begeisterung für diesen Kontinent Ausdruck verleihen könnten, nicht einfallen wollen.
Ich frage ihn, ob er oft hier ist. Er bejaht. Mir fällt nichts mehr ein, worüber ich noch mit ihm sprechen könnte. Deshalb frage ich nach dem Grund, obwohl die regelmässigen Besuche in einer Table Dance Bar wohl kaum eine Begründung erfordern. “Wegen der Frauen?“
“Ach nein. Ich bin fast 60. Ich habe schon viele nackte Frauen in meinem Leben gesehen. Das interessiert mich nicht mehr. Ich komme hierher, um Menschen kennenzulernen und mich mit Ihnen zu unterhalten.“
Mit einer wegwerfenden Handbewegung deutet er auf unsere kleine Gruppe. “Was machen Sie hier?“ Ich erkläre ihm, dass wir gerade von der Weihnachtsfeier unserer Firma kommen und nun noch einen Absacker trinken wollten. “Nur Frauen?“
„In unserer Firma arbeiten fast nur Frauen. Bis auf meinen Chef. Das ist der dort hinten.“
„Ach. Melanie. In meiner Firma arbeiten nicht so viele Frauen. Und schon gar nicht so schöne.“
„Ich heisse Cassandra.“
„Oh. Ich hatte mal eine Freundin, die hiess Cassandra. Sie war meine erste große Liebe. Sie war sehr schön. Manchmal denke ich noch an sie.“
„Warum haben Sie sich getrennt?“
Er zuckt gleichgültig mit den Schultern. Mit stumpfem Blick schaut er gedankenverloren in Richtung Bühne, wo eine Frau gerade breitbeinig eine Stange herunterrutscht. Er schaut zurück zu seinem Glas, welches er unaufhörlich im Kreis dreht.
Kurz bevor unsere Unterhaltung einzuschlafen droht, gesellt sich mein Chef – vermutlich in dem ritterlichen Glauben, mir zur Hilfe zu eilen - zu uns.
Er stellt sich Oliver vor, legt dann besitzergreifend den Arm um mich und drückt mit einen Kuss auf die Wange.
Staunend weiten sich Olivers Augen: “Sie küssen ihre Angestellten?“
„Ja. Ich habe zu allen Angestellten in der Firma ein sehr inniges Verhältnis.“
„Bei uns in der Firma habe ich noch nie eine Angestellte geküsst. Aber da arbeiten auch nicht so viele Frauen.“
„Ich stelle prinzipiell nur Frauen ein. Die sind viel netter als Männer.“ Bewundernd lässt Oliver seinen Blick über unser Grüppchen schweifen.
Angeregt plaudert mein Chef mit Oliver über die Vorzüge weiblicher Angestellter. Seine Gesten wirken lebendig, ungläubig schüttelt er den Kopf. Ich bemerke ein Leuchten in den Augen des Kaninchenmannes, als ich mich wieder meinen Kolleginnen zuwende, die mittlerweile Gefallen an dem Geschehen auf der Bühne gefunden haben.
Wir reden ein wenig über die Vorzüge und Nachteile plastischer Chirugie und bringen die Dollarnoten, die uns unserer Chef großzügig überlassen hat, unter’s Volk.
Als der Geldstapel abgearbeitet ist, beschliessen wir, nach Hause zu gehen. Wir sind fast die letzten Gäste. Der Kaninchenmann sitzt wieder allein in seiner roten Lederecke und dreht sein Glas.
Ich gehe zu ihm rüber, bedanke mich noch einmal für den Champagner und reiche ihm die Hand zum Abschied. Mühsam steht er auf, lächelt mich müde an und plötzlich beuge ich mich über den Tisch und drücke ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Bevor er reagieren kann, drehe ich mich um und folge den anderen durch die Ausgangstür.
nomad,
Dienstag, 3. Januar 2006, 23:10
...und dem kaninchenmann stand für einen kurzen moment das herz still...