Cassandras Kopfkino
cassandra, Montag, 12. November 2007, 22:39
Filed under: Neue Cassandra Wochenschau
Etwas spät und extrem sporadisch, aber besser, als gar nicht.

Hamburg rechtzeitig verlassen
Nach fast drei Wochen Hamburg bin ich sehr froh, die beengten Hotelzimmer hinter mir gelassen zu haben und wieder zu Hause zu sein. Ich mag diese Stadt wirklich sehr gerne, aber es ist lange her, dass ich zu Besuch war und früher war ja alles besser.
Autofahren in Hamburg ist zu einer schier unmöglichen, nervenzermürbenden Aufgabenstellung geworden, die mich schon am frühen Morgen zu einer ammokfahrenden Bestie hat mutieren lassen. An jeder Ecke gibt es eine Baustelle und egal, zu welcher Tageszeit man unterwegs ist, gestaltet sich eine kurze Erledigung oder Verabredung in der Stadt zu einer Plage, die in mindestens eine Stunde im Stau stehen ausartet.

BHs und Behindertenklos
Im Englischen gibt es ein Wort: self-conscious. Wortwörtlich übersetzt heisst es: sich selbst bewusst sein. Natürlich nicht gleich zu setzen mit self-confident, welches selbstbewusst sein bedeutet. Ersteres ist meines Erachtens nicht mit einem deutschen Wort übersetzbar, bedeutet jedoch eher das Gegenteil von Selbstsicherheit. Vielmehr bezieht es sich darauf, dass man sich seiner Selbst, seines Auftretens, seines Handelns, seiner Worte und deren Wirkung auf andere und einer daraus resultierenden, eigenen Befangenheit bewusst ist.
Darauf wollte ich schon immer mal hinweisen.
Worauf ich jedoch hinaus will, ist dass ich entgegen der landläufigen Art mit dem Alter zunehmend mehr self-conscious werde.
Obwohl ich beispielsweise seit Jahren, eigentlich seit meiner Geburt, rigoros auf das Tragen eines BHs verzichtet habe, bin ich zu Beginn diesen Jahres angesichts einiger Fotos von mir dazu übergegangen, das Haus ohne dieses formende, stützende und „mehr zaubernde“ Accessoire nicht mehr zu verlassen. Nun würde ich lügen, wenn ich behauptete, dass ich vorher noch nie Fotos von mir gesehen hätte, doch erstmalig wurde ich mir darüber bewusst, wie bescheuert ich in 7/8 Hosen, einen Strohhut und einem engen Top ohne BH darunter bekleidet auf einem Pferd aussehe.

Vor ein paar Tagen weilte ich auf einer offiziellen Veranstaltung in Hamburg (mit BH, aber diese Anekdote hat jetzt auch gar nicht mehr damit zu tun) und musste im Rahmen eines mäßigen Alkoholkonsums das öffentliche WC aufsuchen. Zufällig landete ich auf der Behindertentoilette. Da ich keinen behinderten Menschen auf dieser Veranstaltung gesehen habe, ich die Türklinke eh bereits in der Hand hielt und Behindertentoiletten bekannterweise sauberer sind, beschloss ich, mich diesem Örtchen anzuvertrauen. Praktischerweise verfügte die Örtlichkeit um eine integrierte Waschinsel. Ich wusch mir also die Hände und verliess die Kabine. Vor den Waschbecken im weniger privaten Bereich der Toilette stand eine Dame mittleren Alters und frischte ihr Make up auf. Das einzige, an das ich in dem Moment denken konnte, war, dass ich jetzt unmöglich die Räumlichkeiten verlassen könnte, da die Dame in diesem Falle, ahnungslos ob meiner vorherigen Aktivitäten, vermuten könnte, dass ich mir nach dem Toilettengang nicht die Hände gewaschen habe. Also wusch ich mir ein 2. Mal die Hände. Man will sich ja ungern dem Ekel fremder Mitmenschen aussetzen.
Später erfuhr ich dann, dass die Dame einst ein Mann war (und vielleicht teilweise noch immer einer ist) und fragte mich, ob sie sich über die Begegnung mit mir eigentlich genauso viele Gedanken gemacht hat.

Intime Weihnachtsfeier
Zu meinen so genannten Ostzeiten, also gegen 14 lütten Jahren, engagierten sich ein paar Mädels meiner Klasse aktiv politisch gegen das System der DDR: Sie schrieben einen Brief an Udo Lindenberg. Der Brief war nicht sonderlich gut formuliert. Im großen und ganzen ging es darum, dass in der DDR alles voll krass scheisse war, man keinen Bock auf den verkackten Sozialismus hatte und lieber mit Udo, der geilen Schnitte im Westen um die Häuser ziehen würde.
Trotzdem unterschrieben damals alle in der Klasse diesen Brief und schickten ihn an den Lindenberg Fan-Club. Alle ausser ich. Auf die Gründe meiner Verweigerung möchte ich an dieser Stelle gar nicht eingehen, aber mir fiel diese Geschichte wieder ein, als mir am Mittwoch letzter Woche der Udo die Hand zum Gruße schüttelte. Eine Arbeitskollegin hatte mich zu einer Finissage aka Weihnachtsfeier in kleinem Rahmen mitgeschleppt. Nur Udo und seine Freunde und ich.


Ich bin zwar kein Fan, aber während des kleinen Überraschungskonzertes, bei dem viele Gäste einfach mal mitsingen durften, war ich dann doch sehr gerührt. Und wenn mir heute dieser Brief noch einmal zur Unterschrift vorliegen würde (und besser geschrieben wäre), hätte ich sofort unterschrieben, denn mit ihm würde ich jederzeit gerne um die Häuser ziehen.

Traumataverarbeitung
Einen Tag später eilte ich von Hamburg gen Heimat, um meiner Firma beim alljährlichen Gänseessen beizuwohnen. Das wollte ich auf gar keinen Fall verpassen. Wieder Erwarten landeten wir um 2 Uhr morgens jedoch nicht in einer Tabledancebar oder gar im Puff, sondern in einer schlichten Bar, die mich stark an diese italienische Eisdiele in der Fussgängerzone in Kamp-Lintfort, in der ich einst meine Zeit totschlug, erinnerte. Orange gewischte Wände, Plastikblumensträusse auf den Tischen und gemütliche, bunt gemusterte Polstersitzgruppen. Nur, dass es sich bei diesem Etablissement nicht um ein von Italienern geführtes Eislokal handelte, sondern um eine thailändische Karaokebar. Die erste Stunde verbrachte ich mit dem Bestaunen der Musikvideos (englisch untertitelte 80er Jahre Klassiker mit asiatischen Protagonisten) und dem Erraten der Titelliste. Letztere war nämlich weder nach Interpreten, noch Songtiteln geordnet, sondern enthielt lediglich Textzeilen, die ein nicht im Englischen bewanderter thailändischer Kellner getippt haben muss. Dort standen Perlen, wie „San Fuansisco“ und „Love will tear us abroad“ zur Gesangsauswahl bereit. Dazu muss man sagen, dass nicht jedes Lied sich als das entpuppte, was man zu hoffen wagte.
Wenig später hatte ich dann endlich die Gelegenheit, mein tief schlummerndes Gesangstrauma zu verarbeiten. Mit Erfolg. Zu meinem Erschrecken mutierte ich binnen kürzester Zeit zur absoluten Mikroschlampe. Jedem ambitionierten Karaokesinger riss ich – notfalls unter Zuhilfenahme sanfter Gewalt – selbiges aus der Hand, um mich zum Teil auch in mir vollkommen fremden Melodien und Liedtexten zu erproben. Zum Glück wurde von Foto- und Videobeweisen Abstand genommen. Noch heute fällt es mir schwer, meinen Kollegen in die Augen zu blicken.

Augen Update
Thema wird derzeit kategorisch ignoriert. Erst hatte der Arzt zwei Wochen Urlaub, dann habe ich mich für drei Wochen nach Hamburg verdrückt. Ich ahne, dass da einige Sachen im argen sind, aber nicht wissen macht auch nicht dumm.

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