Cassandras Kopfkino
Dienstag, 5. April 2005
ICH BIN EINFACH ZU LIEB FÜR DIESE WELT
cassandra, Dienstag, 5. April 2005, 00:14
Filed under: Alltag
Gerade durfte ich 33,60 Euro in der Videothek bezahlen.
Weil die LIEBE FREUNDIN, der ich wegen einwöchiger Abwesenheit die Filme letztes Wochenende zwecks Rückgabe anvertraut habe, sie schlicht und ergreifend vergessen hat.
Ich traue mich noch nicht einmal, ihr das vorzuwerfen, weil sie auf Grund der Entscheidung, ob sie sich nun von ihrem Freund trennen soll oder nicht, zuviel um die Ohren hatte.
Die Videothek hat mir noch nicht einmal einen Schlampigkeit-wegen-Beziehungsschlamassel-Rabatt eingeräumt.

Am meisten ärgert mich, dass die Filme richtig schlecht waren.
Ich bin jetzt motzig.

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DER TRANSENSTRIP ZWISCHEN DEN WALDHORNBLÄSERN
cassandra, Montag, 4. April 2005, 21:01
Filed under: Alltag

Man kennt das ja. Wochenlang sitzt man allabendlich auf dem heimischen Sofa, starrt den Fernsehr an, trinkt das eine oder andere Glas Rotwein, lackiert die Fußnägel, ruft wahllos irgendwelche Nummern aus dem Telefonspeicher an, um mal eine menschliche Stimme zu hören, beschließt, aus Langeweile, Dübel in die Wand zu schlagen oder sämtliche Kissen und andere stofflichen Einrichtungsgegenstände der Wohnung zu waschen, was dazu führt, dass man eine Woche keine Sitzgelegenheit im Hause hat, auf der man nicht binnen kurzer Zeit einen nassen Hintern bekommt und dann veranstaltet plötzlich ein jeder eine Geburtstagsparty am selben Tag.

Der Samstagabend stellte mich vor schwierige Entscheidungsprozesse. Herr Sebas' große Frauenrunde in Berlin klang verlockend, konkurrierte jedoch mit der Party auf einem Bauernhof in Österreich, bei der eine Live-Jazz-Band geladen war. Die Feier einer Bekannten in Düsseldorf verhieß ein Wiedersehen mit der Clique aus der Ausbildungszeit, deren Gesichter man schon vor geraumer Zeit aus den Augen verloren hatte.
Da ich den österlichen Besuch bei meinen Erzeugern jedoch kurzfristig abgesagt hatte und es vorzog, mich bereits erwähnten Beschäftigungen zu widmen, war das letzte Wochenende bereits eben jenen versprochen. Zudem hatte meine Mutter bereits am Telefon vom Jägerball, auf den sie mich mitzunehmen gedachten, geschwärmt.
Ein Jägerball (oder die "Jahreshauptversammlung der Jagdgenossenschaft", so der offizielle Veranstaltungstitel) in der Mecklenburg-vorpommerschen Provinz in Begleitung meiner Eltern klang nach einer großen Sause, die ich auf keinen Fall verpassen wollte. Im letzten Jahr kam es sogar zu einer Schlägerei zwischen der freiwilligen Feuerwehr und einigen anderen Dorfbewohnern auf der Tanzfläche.

Daher steckte selbstverständlich auch den Fotoapparat im Damentäschchen, als ich Samstag um 18:30 Uhr die Treppe im Elternhaus herunterstolzierte. Mein Vater sah mich mit großen Augen an: Seinen Kommentar: Hier bei uns ziehen die sich nicht so an. beantwortete ich achselzuckend. Da werden heute abend aber keine jungen Männer sein. Wenn Du junge Männer kennen lernen willst, findest Du die vermutlich draußen, vor der Tür, aber auch nur so lange, wie es Freibier gibt.
Auf Grund derzeit mangelnden Bedarfs an der Gesellschaft junger, sowie älterer Männer, tat diese Neuigkeit meiner erwartungsvollen Vorfreude keinen Abbruch.

Auf dem Weg zum beschaulichen Reiterhof Wulf, ein ehemaliges DDR Kinderferienlager, erklärte man mir die Hintergründe einer Jagdgenossenschaft. Da diesem Blog auch ein didaktischer Aspekt innewohnt, möchte ich an dieser Stelle nicht mit meinem neuerworbenen Wissen geizen. Besagte Genossenschaft hat nämlich in erster Linie gar nicht viel mit den Jägern zu tun. Nach 40jährigem Dasein als Volkseigentumbesitzer ist man in den Bundesländern der ehemaligen DDR mächtig stolz, der Herrscher über sein eigen Gut und Land zu sein. Die Äcker und Waldfetzen, die früher von der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft bewirtschaftet wurden, sind nach der Wende an die Eigentümer zurückgegeben worden. Da meine Eltern mit einem Hektar Wald nicht viel anzufangen wissen, außer, darin herumzuspazieren, verpachten sie und viele der anderen Dorfbewohner ihr Land an die Jagdgenossenschaft, die wiederum das Land den Jägern zur Verfügung stellt. Darüber hinaus ist die Genossenschaft für die Beseitigung von totgefahrenen Tieren zuständig. (Irgendwie muss ich an dieser Stelle an jemand ganz besonderen denken: vielleicht ist dort ja noch eine Stelle frei...)

Wir betraten einen festlich geschmückten Raum mit einer großen Tanzfläche in der Mitte. Die rote Abendsonne, die durch die Spitzenvorhänge floss, mischte sich mit dem romantischen Schein der Kerzen auf den Tischen. Das Licht zeichnete die Gesichter der ungefähr hundert versammelten Genossen weich und so fiel gar nicht wirklich auf, dass das Durchschnittsalter um die 55 lag.
Wir setzten uns an eine Zehnertafel und mein Vater bestellte erst einmal eine Flasche Jägermeister. Ich entschied mich für ein Glas Rotwein, um nicht schon vor 19:00 Uhr auf nüchternden Magen mit den harten Sachen zu beginnen.
In Restaurants in Mecklenburg Vorpommern gibt es meist nur zwei Sorten Wein: roten und weißen. Bei dieser Veranstaltung ging man jedoch in die vollen und bot gleich drei Sorten zur Auswahl: lieblich, halbtrocken oder trocken. Nachdem ich den ersten Schluck dann doch mit einem doppelten Jägermeister heruntergespült hatte, schmeckte der trockene ganz passabel.

Die Jagdhorngruppe Waidmannsheil aus Werder eröffnete den Abend.


Nach jeden Stück gab der Chefbläser eine Jägergedicht oder -witz zum Besten. Was ist der Unterschied zwischen einem Jäger und einem Teppich? Der Jäger muss um drei Uhr aufstehen, der Teppich kann liegen bleiben Dieser Brüller ließ nicht nur die Massen ausrasten, sondern macht sich bestimmt in leicht abgewandelter Form auch gut auf Bäcker-Innungs-Tagungen.
Bei dem nächsten Lied "Ein schöner Land" wurde das Publikum zum mitsingen aufgefordert. Die einzige, die fröhlich mitträllerte, war meine Mutter. Doch bevor ich immer tiefer in meinen gepolsterten 70er-Jahre-DDR-Stuhl rutschen konnte, wurde das berühmte Mecklenburger Heimatlied "Wo die grünen Wiesen blüh'n" angestimmt und das Publikum sang lauthals mit. Ich hätte mich aus Anpassungsgründen nicht verweigert, meine Sangeskünste zum Besten zu geben, nur leider hatte man versäumt, vorab Textbücher auszugeben.

Viele lustige Lieder und Witze später hielt der Genossenschaftsvorstandsvorsitzende eine Rede und gab seinen Rechenschaftsbericht ab. Dem folgte eine Abstimmung über einige Satzungsänderungen. Unter anderem lief die in der Satzung vorgeschriebene Amtszeit des Vorstandes von vier Jahren ab. Da die Zeit für eine Neuwahl des Vorstandes an jenem Abend nicht ausreichend schien, wurde kurzerhand einstimmig beschlossen, die Amtszeit auf 5 Jahre zu verlängern. Tja, so wird Politik gemacht.

Danach wurde endlich das Buffet eröffnet. Ich schaffte es tatsächlich, fünf Tiere auf meinem Teller zu vereinen, wollte ich doch für eine anständige Basis sorgen, zumal ich während des Vorprogramms meine mangelnde Anteilnahme mit dem Genuss des einen oder anderen Jägermeister vertuschen musste.


Inzwischen war es draußen dunkel, die aus der Kinderferienlagerzeit stammende Neon-Essenssaal-Beleuchtung angeknipst und die allgemeine Stille des gemeinsamen Speisens wurde untermalt von einer Art Musik, die mir schwerfällt zuzuordnen. Ostseeplattenbaukurheimtanzabendmusik? Eine "Very Best of Heimatfilmmelodien"-Compilation? Kredenzt wurde die Untermalung jedenfalls von DJ Wolfgang.

Nach dem Essen begann der spaßige Teil des Abendprogramms. Eine Karnevalstruppe aus Tramm spielte hübsche Sketche und las schenkelklopfende Witze vor. Sie hatten auch gleich ihre sechs 12-14jährigen Kinder mitgebracht, die in Cheerleaderqualität durch den Saal sprangen. Das eine oder andere Kind machte dabei ein Gesicht, als hätte man ihm auf Lebenszeit Klingeltonbestellverbot angedroht, um es zum Verspeisen eines Eimer Spinats zu zwingen. Vielleicht waren ihnen aber auch nur ihre kostümierten Eltern peinlich. Diese hatten nämlich kein Erbarmen. Parodierten eine Krankenhausgeschichte, liefen als Penner durch den Saal und gaben Viagra-Witze von sich, traten als schelmische Vogelscheuchen und Bauchredner auf, sangen Playback zu kreischend-komischen Liedern.


Der Höhepunkt des Abends stand jedoch noch aus. Meine Eltern hatten erzählt, dass im vergangenen Jahr eine Stripperin sich auf dem Schoß des Bürgermeisters rekelte.
Auch der diesjährige Jägerball hatte eine schlüpfrige Tanzeinlage zu bieten.
Das Neonlicht wurde abgeschaltet und ein als Lolita angekündigter ca. 60 Jahre alter Mann betrat in Perücke, Rock, Negligé und halterlosen Strümpfen gewandet, die Tanzfläche.
Er schien tatsächlich das Bedürfnis zu haben, sich seiner Kleidung zu entledigen und so starrte ich wenig später voll Grauen auf einen schmalen String zwischen zwei haarigen weißen Pobacken. Auf den Schreck musste ich erst einmal erneut einen doppelten Jägermeister zu mir nehmen und dann die Toilette aufsuchen.

Nach meiner Rückkehr war die Tanzfläche vollbepackt. Willi und Klaus machten Live Musik. Während die Discokugel güldene Reflexe auf die Eichenholz gemaserte Styroporkassettendecke warf und die Pferde auf den Fotografien an den Wänden andächtig mit den Köpfen zu schunkeln schienen ertönte Julio und Roger.
Als es etwas fetziger wurde und "Movie Star" ertönte, wäre ich am liebsten aufgesprungen und hätte ebenfalls das Tanzbein geschwungen. Leider wird auf dem Lande nur paarweise getanzt und mein Vater war bereits zu Genüge mit meiner Mutter beschäftigt.
Ich musste kurz an den Herren denken, der mir seine Oma zum Verkauf angeboten hatte, um mich zum Jägerball begleiten zu dürfen. Wäre er jetzt da, könnte ich mich in seine starken Arme schmiegen und zu "Wir sind alle über 40, aber wir sind am Leben" tanzen oder mich mit ihm und einer Flasche Jägermeister in ein dunkles Eckchen zurückziehen. Auf seinem Schoß sitzend könnte er meine Beine streicheln und ich ihm ins Ohrläppchen beißen.
Da jedoch kein Ohrläppchenbeisspotential in der Nähe war, trank ich einen weiteren Jägermeister und wippte mit den Füßen.

Den Rest des Abend verbrachte ich halb liegend auf meinem Stuhl und schmiedete Pläne, wie ich die versprochene Prügelei vom Zaun brechen könnte. In meinem jagddurchtränkten Schädel verwarf ich jedoch die wenigen Möglichkeiten und beschloss, in ein paar Monaten zum Dorfsommerfest zu gehen. Das junge Volk dort wird schon für ein wenig mehr Aufregung sorgen.

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