Cassandras Kopfkino
Montag, 29. Januar 2007
TEILZEIT-V.I.P.
cassandra, Montag, 29. Januar 2007, 15:46
Filed under: Aus dem Leben einer Tussi
Da meine Ortskenntnisse von Essen zwischen eingeschränkt und nicht vorhanden tendieren, habe ich uns Mädels auf einen Parkplatz gelotst, der sich genau am anderen Ende der Fussgängerzone befindet und uns einen Fussmarsch von zehn Minuten durch eisige Kälte auf zwar hübschen, aber auch gefährlich hohen und nicht sonderlich wärmenden Stöckelschuhen beschert.
Im gleissenden Scheinwerferlicht hat sich um den roten Teppich vor dem Kino eine Menschentraube von ungefähr 500 Leuten angesammelt. Die Hälfte davon ist Presse, die andere Fans.
Die Vermutung liegt nahe, das weder erstere noch letztere sich wegen uns hier eingefunden haben, aber ich frage mich, ob der Hauptdarsteller diese Aufregung verdient hat. Vermutlich ist viel eher die illustre NRW-Prominenz, die auf der Gästeliste der Filmpremiere steht, der eigentliche Grund für so viel öffentliche Aufmerksamkeit. Wundersamerweise stehe ich dort heute ebenfalls drauf. Ich bin und kann zwar nichts besonderes, aber diese Eigenschaft teile ich mit der besagten Prominenz.
Ich habe mich vorbildlichst auf diesen Event vorbereitet und ahne bereits, dass ich nicht wegen dieser seltendämlichen Kinokatastrophe, die einen klaren Fall für die hinterste Videotheken-Ecke, wo er in aller Ruhe verstauben kann, ohne dass ihm ein größeres Publikum zum Opfer fallen würde, darstellt. hier bin, sondern weil ich zur Premiere und zur anschliessenden Party eingeladen bin und man bekanntlich geschenkten Gäulen nicht... Andererseits können bekanntlich auch Kritiker irren und ein bißchen Unvoreingenommenheit im Tausch für einen VIP Status für eine Nacht ist mir der Spaß wert.

Vor dem roten Teppich sind weisse Partyzelte aufgebaut. Wir nähern uns dem ersten, werden aber abgewiesen, weil es sich um den Eingang für Menschen handelt, die dafür bezahlen, den Film zu sehen. Im Gegensatz zum vollkommen verlassenen Kaufkarteneingang hat sich vor dem Eingang für geladene Gäste eine 30 Meter lange Menschenschlange gebildet. Scheinbar hat man es als VIP auch nicht einfach und ich bin hocherfreut, mich nicht in ein hauchdünnes Nichts von Abendkleid gepresst zu haben, wie einige der Mitfrierenden.
Am Anfang des roten Teppichs angekommen, steht vor mir irgend jemand bekanntes und die Fotografen flippen aus. Was nun? Dusselig in der Gegend und weiter in der Kälte stehen und warten, bis die Massen sich beruhigen? Das wirkt so, als würde ich warten, dass sich die Aufmerksamkeit mir zuwendet. Einfach weitergehen und den Zorn der Presse auf mich ziehen, indem ich ihnen vor die Linsen gerate? Falls in der nächsten Gala-Ausgabe ein Foto von der Feldbusch erscheint, hinter der eine junge Frau mit geschlossenen Augen und ausgestreckten Armen durch’s Bild flitzt, bin ich das wohl gewesen. Blind renne ich durch das Blitzlichtgewitter und öffne gerade noch rechtzeitig die Augen, bevor ich fast gegen die Tür laufe.

Im Kinosaal erklärt man uns, dass die geladenen Gäste nur auf dem Sitzen Platz nehmen dürfen, auf denen ein grüner Zettel befestigt ist. Hier zeigt sich zum zweiten Mal, dass so ein Leben als Teilzeit-VIP nicht so wünschenswert erscheint, wie man immer glaubt. Unter den geladenen Gästen gibt es strenge Hierarchien. Die wirklich wichtigen Menschen dürfen in einer Loge Platz nehmen, während wir auf die grün bezettelten Parkettsitze, die sich lediglich ganz aussen befinden, ausweichen müssen. Wir landen in Reihe drei aussen und ziehen uns im Laufe des Abends nicht nur recht unangenehme Nackenkrämpfe zu, sondern dürfen auch jede Pore, jedes Nasenhaar und jeden Pickel der Darsteller bei Close-ups bewundern.

Ich tröste mich mit einem Sekt und der Tatsache, nicht bezahlt zu haben und im Gegensatz zu den Leuten, die auf den guten, weil bezahlten Plätzen sitzen dürfen, nach dem Film auch noch auf eine Party gehen zu können.
Nach einer halben Stunde des Wartens auf den Beginn des Films stehen plötzlich drei Mädels mit gekauften Karten vor uns. Die eine von ihnen hat tatsächlich meine Platznummer auf ihrer Karte. Ich erkläre ihr, dass ich keinerlei Wunsch verspüre mich in dem inzwischen vollgerammelten Kino nach einem neuen, noch beschisseneren Sitzplatz umzusehen und meine Begleiterinnen zu verlassen. Die zur Hilfe gerufene Platzanweiserin ist ebenfalls der Meinung, dass ich falsch sitze. Panisch suche ich nach dem grünen Zettel, der vorhin noch an meinem Sitz hing und meine Sitzberechtigung nachweist. Eine meiner Begleiterinnen erspäht in auf der Rückseite meines Pullovers. Triumphierend halte ich ihn hoch, aber die Damen um mich herum haben kein Verständnis und wollen, dass ich gehe. Dickköpfig verschränke ich die Arme und fordere sie auf, mich hinwegzutragen. Inzwischen hat die Platzanweiserin Tränen in den Augen und erklärt mir zum wiederholten Male, dass die anderen Damen ihre Plätze im Gegensatz zu mir bezahlt hätten. Ich trumpfe mit der Tatsache auf, dass ich eine Einladung vom Regisseur habe und ganz sicher nicht gewillt bin, mir den Film allein anzusehen, nur weil irgendwer zu blöd ist, grüne Zettel richtig aufzuhängen.
Unsere Diskussionen spaltet die Umsitzenden in zwei Lager, ein Mann dreht sich zu mir um und spricht mir Mut zu, weil „es ja nicht anginge, dass Kaufkarteninhaber bessere Plätze als geladene Gäste bekämen“, ein paar ältere Damen hinter mir flüstern und ich verstehe nur die Worte „zickig“ und „immer das selbe“. Ich bin sehr entspannt und weiss, dass ich ebenfalls sauer wäre, wenn ich Karten für einen prognostiziert schlechten Film gekauft hätte und jemand auf meinem Platz sässe. Aber, hey, ich habe einen grünen Zettel am Pullover. Die sichtlich verstört wirkende Platzanweiserin droht, die Platzanweisungschefin zu holen, wenn ich mich nicht umsetze. Zum Glück kommt in der Reihe vor uns plötzlich Unruhe auf, weil sich Menschen mit gekauften Karten ebenfalls mit grünbezettelten Menschen streiten. Nach diversen Umsetzarien, von denen ich dank meiner Unkooperativität ausgeschlossen bin, sind alle halbwegs glücklich.


Endlich scheint es loszugehen. Ein Haufen Fernsehteams und Fotografen belagern die Bühne und Til Schweiger betritt selbige, um Hinz und Kunz unter stürmischem Applaus nach vorne zu bitten. Selbst Komparsen, die später nur mit Mühe im Film wiederzufinden sind, wurden extra aus Kanada eingeflogen und dürfen sich im Beifallssturm sonnen. Meine Begleiterinnen und ich werden ein wenig nervös. Wo bleibt denn der Herr, der uns eingeladen hat und ganz nebenbei das Drehbuch geschrieben und die Regie geführt hat? Ist er vielleicht gar nicht gekommen oder war noch nicht einmal eingeladen? Man hört ja viel von Herrn Schweigers Beziehungen zu seinen Regisseuren. Aber warum durften wir dann kommen? Der Ansturm ebbt ab und alle verlassen die Bühne. Die Presse zieht sich zurück, als plötzlich Herr Schweiger und sein Produzent zurück in den Saal gerannt kommen. Der Herr Produzent ist sehr rot im Gesicht und schaut angestrengt. Man teilt dem Publikum mit, dass man leider vergessen hat, jemanden aufzurufen. Nun darf auch der Regisseur kurz mal auf die Bühne. Wir fremdschämen uns ein wenig. Der Regisseur meint zum Til, dass das alles ja gar nicht so schlimm ist.
Endlich wird es dunkel im Saal und der Film beginnt. Ein Mädchen läuft durch einen Wald. Sie wird verfolgt von ein paar Jungs, die sie vergewaltigen. Im Kino werden erste Burufe laut. Nicht weil die Szene jetzt sonderlich schlecht wäre, sondern weil man bisher noch keinen einzigen Ton gehört hat. Optimistisch flüstere ich meiner Sitznachbarin zu, dass es sich bestimmt um ein stilistisches Mittel handelt. In dem Moment geht jedoch bereits das Licht wieder an und die Kinochefin entschuldigt sich, weil offensichtlich ein technisches Problem vorliegt. Zehn Minuten später ist die Sicherung wieder reingedreht, der Film beginnt von neuem und wir müssen uns die Vergewaltigung noch einmal mit Ton ansehen.
Das Mädchen, das vergewaltigt wird, sehen wir wenig später wieder. Sie ist jetzt erwachsen und die beste Freundin von Til Schweiger, der Eddie heisst und ein ganz heisser Feger in der Werbung ist. Er ist verlobt mit der Tochter des Agenturinhabers. Trotz seiner Beziehung steckt Eddie seine Genitalien in alles rein, was er haben kann und ist ein riesiges Arschloch. Zu einer wichtigen Kundenpräsentation kommt er zu spät, weil er noch mal kurz seine Nachbarin vögeln muss und so wird uns bereits innerhalb der ersten zehn Minuten Tils nackter Hintern präsentiert.
Nachdem alle Charaktere eingeführt sind, wird eines Nachts Tils beste Freundin (die am Anfang vergewaltigte) von Tils zukünftigem Schwager, der Teilhaber in der Agentur ist, vergewaltigt. Zuerst will er ihr helfen, aber dann erpresst ihn der böse Bub mit Fotos seiner Affären und so lügt Til im Zeugenstand bei der Verhandlung gegen seinen Schwager, der kommt frei und niemand glaubt dem Mädel, dass sie vergewaltigt wurde. Dann wird alles sehr kompliziert. Das Mädchen, dass sich rächt und ihren Peiniger vergewaltigt (!) und erschiesst, Til/Eddie, der des Mordes beschuldigt wird und vor Gericht kommt, blablabla.
Ich danke Gott dafür, den Film in einer deutschen Synchronisation zu sehen und vom Schweigerschen Englisch verschont zu werden.

Nach dem Abspann bleiben wir Mädels noch ein Weilchen auf unseren Plätzen und überlegen, was wir dem Regisseur sagen sollen, falls er uns fragt, wie uns der Film gefallen hat. Meine Begleiterinnen hatten das Kino zwischenzeitlich sogar verlassen, in der Hoffnung, dass der Film bei ihrer Rückkehr eine Ende gefunden hat. Ich erkläre ihnen, was sie alles verpasst haben und daraus entsteht eine hitzige Debatte über die vielen logischen Fehler und Macken des Drehbuchs und der Inszenierung und als wir merken, dass wir die letzten Gäste sind, verlassen wir diskutierend den Saal. Unsere angeregte Unterhaltung bleibt nicht unbemerkt. Ein Team vom WDR sieht uns aus der Tür kommen und freut sich, dass sich jemand so intensiv mit dem Film auseinandersetzt.
Aufgeregt ein Mikro schwingend laufen sie auf uns zu. Wir bahnen uns mit Hilfe unserer Ellbogen einen Fluchtweg, doch das Kamerateam gibt nicht so leicht auf und folgt uns durch die Massen. Die Toilette ist der letzte Ausweg. Wenig später ist die Luft rein und wir begeben uns zum Ausgang. Vor dem Kino warten Busse, die die Gäste zur Party bringen. Die Stimmung in einer Industriebaracke ist eher gedämpft. Das Buffet ist draussen aufgebaut. Wir sind sehr dankbar, dass es heisse Suppe gibt, die wir mit zitternen Händen in uns hineinlöffeln. Der Wein ist furchtbar und so beschliessen wir, uns auf den Rückweg zu machen. Doch wo sind die Shuttlebusse hin, die uns zum Kino und zu unseren Autos zurückbringen? Wir fragen uns durch und erfahren, dass es nur Busse zu, nicht aber weg von der Party gibt. Hätten wir uns aber auch denken können bei einem Film, der "One Way" heisst.
Vor dem Club stehen viele Mercedes-Limousinen mit gelangweilten Chauffeuren. Mit unseren schönstem Lächeln versuchen wir, einen jungen Fahrer davon zu überzeugen, uns zurückzufahren. Er zuckt bedauernd die Schultern, weil er auf seine wichtigen Insassen warten muss. Inzwischen bin ich davon überzeugt, dass so ein Dasein als Teilzeit-nicht-wirklicher-VIP echt beschissen ist.

Wir erklären dem gerufenen Taxifahrer, dass sich unser Parkplatz in der Nähe einer Kirche auf der Fußgängerzone befindet. Er weiss sofort, von welchem Ort wir sprechen und fährt zum Kino zurück, neben dem sich eine Kirche befindet. Leider nicht die, die wir meinen. Wir beschreiben erneut unseren Parkplatz und der Taxifahrer ist der Überzeugung, dass er dort gar nicht hinfahren könnte. Mit Engelszungen reden wir auf ihn ein, da uns nicht der Sinn nach einem erneutem Spaziergang durch die Eiseskälte steht. Der Fahrer ist sehr verständnisvoll und beschliesst, auf der für Fahrzeuge gesperrten Fussgängerzone zu fahren. Ein letztes Mal an diesem Abend passieren wir das Kino. Leider steht es im Weg. Inzwischen sind fleissige Menschen damit beschäftigt, den Teppich einzurollen und Scheinwerfer und Traversen abzubauen. Rasant peilt der Fahrer einen winzigen Durchgang zwischen Gerüst und Hauswand an. Wir schliessen die Augen, halten die Luft an und passen gerade so durch den Spalt. Ein paar der Arbeiter springen fluchend aus dem Weg. Die abenteuerliche Fahrt endet vor einer Kirche. Leider ist es wieder nicht die gesuchte. Ich ermutige den Fahrer, weiter zu fahren, da sicherlich die nächstbeste die richtige wäre. Im selben Augenblick sehe ich eine Kirche. Nun gut, vielleicht die übernächste. Wer ahnt schon, dass es auf der Essener Fussgängerzone vier Kirchen gibt.
Endlich finden wir die richtige und somit unsere Autos.

Als ich später im Bett liege, denke ich, dass ein Film, der mit derart schlechten Vorzeichen startet, nur ein absoluter Flop werden kann. Vielleicht hatte die Kinokritik ja doch recht.

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