EASY RIDER
cassandra, Mittwoch, 5. Oktober 2005, 22:29
Filed under: Auf Reisen
Motorräder und ich stehen miteinander auf Kriegsfuss.
Selbstverständlich geht diese Abneigung nicht von meiner Seite aus. Ich liebe diese Dinger und gefalle mir in der Vorstellung, in schwarzer, enganliegender Lederkluft mit hochhackigen Stiefeln auf einer riesigen Maschine zu sitzen. Die Pferdestärken vibrieren zwischen meinen Schenkeln, der Fahrtwind peitscht um meine Ohren, in den Kurven schwebt meine Schulter dicht über der Erde. Ich fahre eine verlassene Landstrasse entlang und halte an einer schäbigen Spelunke, die sich, glaubt man dem Neonschild, das über dem Eingang hängt, Ruths Bar nennt. Durstig steige ich von meinem Ross, betrete das Zwielicht hinter der großen Holztüre, steuere den Tresen an und bestelle ein Glas Rotwein. Der langhaarige Kerl neben mir schaut mich über sein Whiskyglas hinweg an und sagt: „Geht auf mich, Baby“. Ein arrogantes Lächeln spielt um meine Mundwinkel. Ich leere das Glas in einem Zug. Dann stehe ich auf und werfe, wenige Meter von der Tür entfernt, einen kurzen, letzter Blick über meine Schulter: „Keine Zeit, BABY. Die Straße ruft.“ Unter der ganzen Szene liegt ein Song von ACDC.
In einer Welt gefüllt von spitzen Kieselsteinchen und eisenhartem Beton bringt mich das Besteigen eines Motorrades schnell auf den Boden der Realität zurück. Instinktiv nimmt die Maschine mein gespaltenes Verhältnis zu elektrischen und motorisierten Gerätschaften war. Sie weiss, dass der blosse Kontakt mit mir den Beginn eines schnellen Endes markiert und stürzt sich in einen unerbitterlichen Kampf um Leben und Tod. Frohen Mutes steige ich in den Sattel. Die Maschine versucht nach links auszuweichen, obwohl ich nach rechts lenke, dann beginnt sie zu bocken, um meinen Willen zu brechen. Hilft dies immer noch nicht, greift sie auf eine heimtückische List zurück. Sie gibt vor, sich mir zu unterwerfen, verleitet mich zu rasanten Fahrmanövern, nur, um mich im entscheidenden Augenblick brutal abzuwerfen.
Im zarten Alter von 17 Jahren sass ich zum ersten Mal auf einem Motorrad. Ich befand mich inmitten meines dritten Tages eines einjährigen USA Austauschjahres. Mein amerikanischer Vater versuchte – trotz aller Verbote, überhaupt auf einem Motorrad MITzufahren – mir das Fahren beizubringen. Ich hinterliess einen exzellenten ersten Eindruck bei meiner neuen Familie, indem ich – nachdem ich einen Tag zuvor (auf Grund der Umstellung und des Jetlags) den alten Chevy vollgekotzt hatte – bei dem Versuch eine enge Kurve zu nehmen, einen eleganten Salto über den Lenker vollzog. Ein aufgerissenes Knie, eine mehrstündige Odyssee durch amerikanische Krankenhäuser auf dem Lande, ein Haufen Heftklammern im Bein, ein Paar Krücken für die kommenden Wochen und ein gesunder Respekt vor Motorrädern waren die Folgen.
Mein Baby auf Bali. Da noch intakt.
Spontan entschloss ich mich, für zwei Wochen allein durch Indonesien zu reisen. Eine Woche Java, eine Woche Bali. Auf beiden Inseln schlug ich ein Basislager auf, von dem aus ich auf eintägigen Touren das Inland entdecken wollte. Erstaunlicherweise wird selbst einem motorradtraumatisierten und nicht-des-fahrens-mächtigen Kaputt-Mach-Persönchen wie mir in Indonesien auf Vorlage eines rosafarbenen Stück Papiers mit deutscher Schrift ein Fahrzeug ausgehändigt. Ich hätte auch meinen Impfausweis bei der Vermietung vorlegen können, hätte er ein Foto von mir enthalten.
Ich verbrachte zwei wundervolle, einsame Wochen auf der Straße. Die Erinnerungen an endlose Reisterrassen, hunderte Tempelanlagen, uralte Grabstätten, prägende Erfahrungen in Verbindung mit der körperlichen Hygiene, sechs Unfälle und zwei zerstörte Motorräder hinterlassen noch heute ein wehmütiges Ziehen in meinem Bauch.
Das Fahren in Indonesien ist eine recht pikante Angelegenheit.
Da biegt man gerne mal ein Liedchen pfeifend, an Cocktailkellner in knappen Shorts denkend, rechts ab und wird plötzlich mit einem Batallion von Autos und Motorrädern konfrontiert, die in der falschen Spur stehend an der Ampel warten und deren Fahrer einen anschauen, als hätte frau zwei Tampons in den Nasenlöchern stecken. Ja ja. Die Tücken des Linksverkehrs.
Nix mit indonesischem Sunteint. Reiner Russ.
Ich erinnere mich an einen ereignisreichen Tagesausflug. Er begann morgens um halb fünf, damit ich auch ja rechtzeitig zum Sonnenaufgang bei irgendeinem Tempel sein konnte.
Man neigt leicht dazu, die Entfernungen zu unterschätzen. Um eine scheinbar kurze Strecke von ca. 50 Kilometer zurückzulegen, braucht man gut und gerne 1,5 Stunden, rechnet man die Zeit ein, die man durch’s Verfahren verplempert, verdoppelt sich diese Prognose recht schnell.
Ich fuhr also zu diesem Tempel, machte meine Sonnenaufgangsfotos und setzte meinen Weg zu einem Plateau fort. Dort liessen sich Schwefelquellen bewundern und beriechen und von dort aus war es auch nicht mehr weit zu einem Vulkansee.
Das bunt schillernde Wasser, die pittoresken Berge im Hintergrund erweckten meinen fotografischen Ehrgeiz. Eigentlich hätte ich es vorher wissen müssen. Jedes Mal, wenn ich versuche, ein Postkartenmotiv so unique und einzigartig zu fotografieren, das man das Gefühl bekommt, es noch nie gesehen zu haben, geht dies in der Regel voll in oder auf die Hose.
Bei meinem Versuch diese eine berühmte Häuserzeile in San Fransisco zu fotografieren (die man auch immer im Vorspann von „Full House“ sieht), robbte ich mal auf allen vieren mit dem Bauch über einen Hügel, um einen möglichst ungewöhnlichen Blickwinkel zu entdecken. Als ich merkte, dass es sich bei dem Hügel um eine Hundespielwiese handelte, war es bereits zu spät. Ich lag inmitten eines großen Exkrementehaufens.
Doch zurück zu den Ereignissen auf der anderen Seite der Erhalbkugel.
Ich schlug mich durch’s Dickicht, das den See umgab, in der Hoffnung, möglichst nahe an’s Wasser zu kommen. Plötzlich gab der Boden unter einem meiner Füsse nach. Der Fuss wurde von einer unsichtbaren Macht im Inneren der Erde abwärts gezogen. Der spitze Schrei einer Frau ertönte. In meinem Entsetzen brauchte ich einen Moment zu erkennen, dass er aus meiner Kehle stammte. Da mein Bein bereits ein beträchtliches Stück von der Erdoberfläche entschwunden schien, setzte ich zu einem Sprung nach vorn, in Richtung Wasser an. Ich verlor nicht nur meinen Schuh, der sich weigerte in der Gesellschaft meines Fusses zu verbleiben, sondern sank an meinem neuen Aufenthaltsort nun mit beiden Beinen ein. Panisch hüpfte ich mit einem weissen Socken und einem verbliebenen Schuh zu meinem ursprünglichen Punkt zurück. Nachdem ich einmal kurz Luft geholt hatte, sprang ich einen wilden Kampfschrei ausstossend zurück zu meinem Schuh, um ihn aus dem Höllenschlund zu retten.
Erst als ich schwer atmend in Sicherheit war und überlegte, was ich mit dem ganzen Schlamm an meinen Beinen anfangen sollte, sah ich, dass sich in der Zwischenzeit eine Gruppe von Einheimischen mit gezückten Fotoapparaten in der Nähe versammelt hatte. Als ich sie entdeckte, winkten sie mir freundlich lachend zu.
Die Freundlichkeit der Indonesier ist tatsächlich bemerkenswert.
Ich möchte gar nicht auf die einzelnen Unfälle eingehen, da einige von ihnen gar nicht der Rede wert waren. Zweimal hatte es mich richtig erwischt. Bei ziemlich hoher Geschwindigkeit warf es mich aus dem Sattel. Derartige Vorfälle bieten Alleinreisenden vortreffliche Chancen, echte, vom Tourismus unverdorbene Inselbewohner kennenzulernen. Ein solcher Sturz spricht sich nämlich in Windeseile im Dorf herum und schon eilt man und frau herbei, um zu helfen. Auf diese Weise fand ich mich mehrmals von einer Menschentraube umzingelt, die unverständlich auf mich einredete, wieder. Sofort verfiel man in ein klassisches Rollenverhalten. Sobald die Männer sich davon überzeugt hatten, dass ich am Leben war, kümmerten sie sich um das Motorrad und versuchten, es aus dem Strassengraben zu bergen. Währenddessen waren die Frauen damit beschäftigt, mir Wasser zu reichen, die Schürfwunden zu säubern und mir auf indonesisch gute Tips für die Wundheilung zukommen zu lassen. Ich hatte bereits sehr früh den Satz: „Vielen Dank für Ihre zuvorkommende Gastfreundschaft und Aufmerksamkeit.“ auf Indonesisch gelernt und sprach ihn in derartigen Situationen mantraartig vor mich hin.
An jenem Tag als der See meine Beine verschluckte, blieb mir glücklicherweise ein schwerer Unfall erspart. Stattdessen hatte ich für diesen Tag die Nase voll von pittoresken Landschaften und Tempeln und beschloss, mich auf den Heimweg zu machen. Ich wusste nicht, wie lange die Heimfahrt dauern würde, da ich auf dem Hinweg viele Zwischenstopps eingelegt hatte. Doch wie das Schicksal nun manchmal spielt, schien sich die Insel im Laufe der letzten Stunden vergrößert zu haben. Vielleicht hatte der Zwischenfall am See zu einer Art Plattenverschiebung geführt? Wo ein Vulkansee ist, kann ein Vulkan nicht weit sein...
Die Strecke zog sich endlos. Stundenlang fuhr ich auf meinem Motorrad geradeaus. Inzwischen war es längst stockdunkel. Die Nächte in Indonesien sind schrecklich kalt und so war es nicht verwunderlich, dass ich mir auf meiner Maschine den Arsch abfror. Nach drei Stunden Fahrt erreichte ich endlich ein kleines Städtchen, das ich von der Hinfahrt wiedererkannte. Mit Entsetzen musste ich feststellen, dass es von dort aus noch mal ein ganzes Weilchen dauern würde. Vollkommen übermüdet und halb erfroren stoppte ich vor einer Art Kaufhaus. Ich marschierte schnurstracks hinein und griff mir wahllos einen Rollkragenpullover und eine Jacke von einem Ständer. Die Verkäufer starrten mich fassungslos an. Ihre missbilligenden Blicke verfolgten mich bis in die Umkleidekabine.
Dort starrte mich ein mir vollkommen fremdes Wesen aus dem Spiegel an. Das Gesicht war schwarz und verschmiert. Die Augen blutunterlaufen. Da, wo sich normalerweise meine Haare befinden, thronte ein filziges Gewirr, das aussah, als hätte eine Horde Kaninchen sich in einem Strohhaufen zu Tode gevögelt. Meine einstmals helle Kleidung war grau und ab dem Knie abwärts schlammverkrustet. Die Farbe der Schuhe konnte man nicht einmal mehr erkennen. Verschämt bezahlte ich und setzte meinen weg fort. Ich habe keine Ahnung, wie ich jemals ins Hotel zurückkam, aber mein Körper erinnerte mich noch in den darauf folgenden Tagen an diesen hübschen Ausflug.
Es handelte sich auch um eine meiner letzten größeren Touren. Einen Tag später stürzte ich erneut vom Motorrad und da das Fahrzeug immer auf die gleiche Stelle fiel, brach dieses mal das Ding ab, wo man mit dem Fuss drauf steht. Solider Stahl. Einfach abgebrochen. Von da an musste ich mit einem Fuss in der Luft fahren, bis ich ein paar Jungs fand, die es für 2 Euro wieder anschweissten.
In Bezug auf die „Reparaturen“ der Motorräder hatte ich wirklich Glück. Auf Bali stellte ich das zusammengeschweisste Motorrad einfach wieder beim Verleiher ab und warf den Schlüssel ein.
Auf Java gestaltete sich die Sache schon etwas komplizierter. Nach einer Woche in Gebrauch war das vordere Schutzblech gesprungen, Gepäckträger und Lenker total verbogen, einige Schrauben verschwunden und der eine oder andere Kratzer hinzugekommen.
An dem Tag, als ich das Gefährt zurückgeben sollte, wandte ich mich an die Hotel-Rezeption und bat um Hilfe. Irgendein Manager riss sich dafür fast das Bein aus. Seine Jungs im Hotel reparierten das nötigste (kostenlos) und er brachte mich dann zum Verleiher. Dort gab er sich als mein Freund aus. Man diskutierte ein wenig und dann lud ich den Herrn Manager auf eine Cola ein.
Trotz der körperlichen Strapazen war mein Indonesien Aufenthalt mein bisher schönster Urlaub. Nur auf ein Motorrad habe ich mich seitdem nie wieder gesetzt. Mal sehen, vielleicht versuche ich es in ein paar Jahren noch einmal.
peterpanch,
Mittwoch, 8. Februar 2006, 02:23
Die wohl schärfste...
.. Motorradreportage, die ich je gelesen habe. Ich habe den Bericht gelesen, als ich meinen Blog grad frisch eröffnet/gestartet habe. Und mich beim Lesen damals schon gekugelt.
Jetzt hab ich den Artikel von Dir wieder gefunden. Hey, ich lege Dir echt nahe: Schreib ein Buch! Ich werde Dein Verleger..
Lieber Gruss
PeterPan
Jetzt hab ich den Artikel von Dir wieder gefunden. Hey, ich lege Dir echt nahe: Schreib ein Buch! Ich werde Dein Verleger..
Lieber Gruss
PeterPan