Cassandras Kopfkino
SPEKTAKULÄRE ARCHITEKTUR
cassandra, Sonntag, 25. Februar 2007, 17:26
Filed under: Alltag
Da stelle man sich mal vor, man steht in einer Ausstellung vor dem riesigen Foto einer Hochhaussiedlung. Tausende kleiner symetrisch angeordneter und vollkommen identischer Fenster starren dem Beobachter entgegen und selbiger lässt seine Nase gebannt wenige Zentimeter über der Plexiglasscheibe schweben, um einen Blick hinter die unzähligen schwarzen Augen der Betonhölle zu erhaschen und einen Hauch von Leben zu entdecken, als hinter einem die Ausstellungsaufpassermaus raunt, man möge doch Abstand zu den Exponaten halten. Vermutlich gilt diese Anweisung jedoch nicht zum Schutze der Fotografien vor Nasenhautrückstandsfettflecken, sondern zielt darauf ab, jegliche Lästereien angesichts der teilweise miserablen digitalen Drucke zu unterbinden.
Denn hinter den dunklen Fenstern lässt sich kein Leben entdecken. Vielmehr pixelt es da in vielen Exponaten unscharf vor sich hin, sobald man die Abstandsrichtlinien missachtet.
Ich bin enttäuscht von den meisten der spektakulären Fotografien zeitgenössischer Architektur: die Auflösung vieler Bilder ist der großformatigen Darbietung bei weitem nicht gewachsen, fallende, eigentlich vertikal gemeinte Linien beleidigen mein ästhetisches Perfektionismusempfinden (und verursachen angesichts eines Pariser Eiffelturmes, der an ein berühmtes Bauwerk in Pisa erinnert Kopfschmerzen) und ich werde das Gefühl nicht los, bei Flickr schon viele ähnliche und teilweise bessere Motive gesehen zu haben. Spektakuläre Architektur ist offenbar heutzutage lediglich in China, Hong Kong und Sao Paulo anzutreffen.

Nach nicht mal 15 Minuten sind wir fast durch mit der Ausstellung und landen vor einer Serie Nachtaufnahmen einzelner vorstädtlicher Häuser. Die Gegenden, in denen der Künstler fotografiert hat, wirken trostlos, doch wie ein kleiner Schimmer der Hoffnung, leuchtet in jedem der festgehaltenen Häuser ein erhelltes Fenster. Todd Hidos Serie House Hunting verzichtet auf großformatige Abzüge.
Der voyeuristische Blick auf die Wohnstätten fremder Menschen, deren Existenz und Leben man lediglich durch das Flackern eines Fernsehrs oder ein vergessenes Nachtlicht ahnt, weckt widersprüchliche Empfindungen. Die Bilder vermitteln etwas anheimelndes, aber trotzdem sehr einsames, weil sie den Betrachter draussen lassen und ihn nicht am Leben des Hausbewohners teilhaben lassen.
Die Fotografien sind technisch perfekt. Obwohl die Motive bei Nacht aufgenommen sind, weisen sie eine fein detailierte Zeichnung in den dunklen Bereichen auf und trotz des großen Blendenumfangs zwischen beleuchtetem Fenster und dunklen Bereichen brennen die hellen Bildelemente nicht aus. Die Farben sind kräftig und wunderbar warm. Ich bin hingerissen.
In einer Rezension des Buches zur Serie des 38jährigen amerikanischen Künstlers heisst es, seine Werke atmen tatsächlich die atmosphärische Dichte eines Edward Hopper. Ein wunderschöner Vergleich.

Leider ist selbiges Buch vergriffen. Bei Amazon Deutschland gibt es noch ein gebrauchtes französisch sprachiges Exemplar für 268 Euro, das 2. Exemplar kostet dann schon fast 800 Euro. Bei Amazon Amerika liegen die gebrauchten Bücher zwischen 313 USD und 2.500 USD. Bleibt zu hoffen, dass der Verlag auf die glorreiche Idee kommt, eine Neuauflage zu drucken.

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