Cassandras Kopfkino
Mittwoch, 12. Juli 2006
VON MEMMEN UND MÄUSEN
cassandra, Mittwoch, 12. Juli 2006, 19:00
Filed under: Begegnungen
Ich bin schon immer ein sehr tapferes Fräulein gewesen. Nichts konnte mir Angst einjagen. Während die anderen kleinen Mädchen früher nach Einbruch der Dunkelheit nur gemeinsam den Nachhauseweg beschritten, machte es mir nichts aus, des nächtens allein durch den düsteren Wald zu spazieren, besonders Nachtwanderungen empfand ich als geradezu lächerlich und in der Geisterbahn ärgerte ich mich stets über die billig ausstaffierte Kulisse. Ich hatte damals gerade meine Winnetou-Phase und wusste, dass er an eine zukünftige Sqwa hohe Erwartungen in punkto Selbstbeherrschung und Furchtlosigkeit stellen würde.

Erst neulich las ich diesen herrlich gruseligen Thriller. Bis in die frühen Morgenstunden vertiefte ich mich in die detailierten Schilderungen des bösen Psychopathen, der mehrere Nächte im Garten der jungen Frau verbringt, sie durch die Fenster der Erdgeschosswohnung beobachtet und ausführlich darüber phantasiert, was er ihr antun wird. Dann bricht er tatsächlich ein und über viele Seiten werden die Qualen und Schändungen des Opfers beschrieben. Gegen vier Uhr morgens knippste ich die Nachttischlampe aus, warf einen letzten Blick aus dem Fenster in den Garten meiner Erdgeschosswohnung und entschlummerte dann in einen friedlichen, tiefen Schlaf, während das Fenster im Raum nebenan, wie jeden Abend sperrangelweit geöffnet stand.

Furchtlos, unerschrocken und mit einem boshaften Grinsen die Zimperlichkeit meiner Mitmenschen verhöhnend, trotze ich allen Gefahren.
Doch jede mutige Heldin hat ihr kleines Geheimnis. Einen düsteren Schatten auf der silbrig glänzenden Ritterrüstung. Eine peinliche Schwäche, die in den bitteren Erfahrungen in der Kindheit wurzelt und binnen Sekunden den über Jahrzehnte konditionierten Habitus vergessen lässt: die erwachsene, souveräne Frau mutiert wieder zu einem Geschöpf in der pre-pubertären Phase. Die Augen weiten sich plötzlich auf Untertassengröße, die Stimme setzt zu einem Crecendo sehr lauter, sehr spitzer und sehr schriller Töne an, da wird ein Sofakissen in Panik vor das Gesicht gepresst wenn ich sie nicht sehe, sieht sie mich auch nicht und das Kreischen nur von zusammenhanglosen "Mach weg, mach weg, mach weg, mach weg"-Schreien unterbrochen.
Der Liebste schaute sein ihm sonst als so mutig bekanntes Mädchen fassungs- und ratlos an, bevor er der Ursache für den Nervenzusammenbruch ansichtig wurde. Eine kleine Babymaus, die von der Katze neckisch über den Wohnzimmerboden gekickt wurde.
Der Liebste hatte dann auch nichts besseres zu tun, als das Ungeheuer einzufangen und unter den Protestgekreische, das jetzt zu einem "Mach tod, mach tod, mach tod, mach tod." modifiziert wurde, in die Freiheit zu entlassen.
Offensichtlich sprach sch die gastfreundliche Behandlung in Mäusekreisen herum, denn schon zwei Tage später wiederholte sich das Schauspiel mit nicht weniger schrillen Tönen, doch diesmal inklusiver überstürzter Flucht ins Schlafzimmer.

Nun fragt sich vermutlich der eine oder andere, warum man sich von so einem "niedlichen Fellknäul" in Angst und Schrecken versetzen lassen kann.

Die Ursache für dieses Trauma liegt, wie bereits angedeutet, in einigen schrecklichen Kindheitserfahrungen begründet.
Im zarten Alter von 10 Jahren fuhr ich zu der noch heute legendären Mäuseklassenfahrt. Der einwöchige Ausflug wurde nach dem putzigen Getier benannt, weil wir Bungalows auf einem kleinen, komplett vermausten Hügel bewohnten. Die Ausgeburten der Hölle waren uns nicht nur zahlenmäßig überlegen, sondern auch äusserst gewitzt und geradezu artistisch veranlagt. Problemlos konnten sie Doppelstockbetten und Wände erklimmen. Erstere schoben wir bereits am ersten Tag in der Mitte des Raumes zusammen und beschliefen fortan mit zehn Mädchen den oberen Bereich der fünf Betten. An Schlaf war nicht zu denken. Zitternd hielten wir uns an den Händen, versuchten, die Dunkelheit und Angst hinwegzuplappern, nur um allesamt schreiend aus der Bettenburg und dem Zimmer zu flüchten, sobald eines der Mädchen glaubte, von irgendetwas an ihrem Fuss berührt worden zu sein.
Eines Abends schlichen wir uns in den Bungalow der Jungs. Schon bald war ich müde und gelangweilt weil keiner der Kerle einen Blick für mich erübrigte und kehrte in unser Zimmer zurück. Ich war vollkommen allein und während ich oben auf dem Bett saß und die Beine baumeln liess, entdeckte ich plötzlich meinen persönlichen Alptraum. Ich wartete eine Stunde lang, bevor die Mädels endlich zurückkehrten und mich befreiten. Eine Stunde lang raste die größte und fieseste Maus, die ich je erblickte, immer im Kreis um das Bettenwerk. Eine Stunde lang sass ich auf dem Bett, die Augen stets auf das Ungetüm gerichtet. Sobald ich sie für einen Moment nicht mehr sah, stieg Panik auf, dass sie gerade das Gerüst empor kletterte, um mir in den Kissen Gesellschaft zu leisten. Ich wimmerte eine Stunde leise vor mich hin, denn Hilferufe oder gar Schreie hätten die Lehrer auf das Fehlen meiner Kameradinnen aufmerksam gemacht.

Ich bin wieder 10 Jahre alt, wenn ich einer Maus ansichtig werde. Gestern abend war es dann wieder so weit. Auf dem Sofa sitzend behielt ich meine Katzen im Blick, um zu verhindern, dass sie einen Spielkameraden durchs offene Fenster hereinbringen. Glücklicherweise war dies nicht der Fall. Die eine blieb verschwunden, die andere saß saß neben der Couch und starrte stundenlang eine Kiste an, die dort an der Wand steht. Sie ignorierte mein Locken und Rufen und verharrte reglos starrend. Irgendwann stand ich auf, um sie zu mir zu holen. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich einen Schatten in der Ecke hinter der Kiste. Der Liebste war fern einer möglichen Rettungsmöglichkeit. Schluchzend rief ich ihn an, doch er weigerte sich, die paar hundert Kilometer zurückzulegen, um mir beizustehen.
Zum Glück ist die eine Katze zum Hund abgerichtet. Spitz schrie ich ihren Namen, sie raste durch den Garten, sprang mit einem Satz durchs Fenster, ich zog die Kiste zur Seite, sie stürzte sich auf das graue Fellding, verharrte einen Augenblick mit ihrer Beute im Maul unschlüssig und auf mein "Raus, raus, raus, raus, raus!" flitzte sie in sekundenschnelle den selben Weg wieder zurück.
Die nächste Viertelstunde verbrachte ich auf dem Tisch sitzend, bis eine Freundin vorbeikam. Erst, als sie alle Ecken durchsucht und kein Nest gefunden hatte, wagte ich mich auf den Boden zurück. Das Loch in der Wand, aus dem das Antennenkabel kommt, haben wir vorsichtshalber zugeklebt. Wer braucht schon fernsehen...

Leider weiss ich nun immer noch nicht, ob sich diese Viecher im Haus befinden oder immer erst durch die Hilfe meiner zwei haarigen Mitbewohnerinnen in mein Reich gelangen. Vorsichtshalber gehe ich jetzt gleich Mausfallen kaufen.

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cassandra, Mittwoch, 12. Juli 2006, 15:33
Filed under: Alltag
Robbie Williams Konzert, 2 Karten, 27. Juli, 18 Uhr, 165 Euro, Olymiastadion, Platz 13+14 Block P6 Reihe 12. Bühne lieht in der Westkurve.

P.S.: Ich merke gerade, dass man diesen Eintrag missverstehen kann. Ich wollte nicht angeben... Ich bin weder im Besitz dieser Karten, noch daran interessiert. Ein Bekannter von mir will sie verkaufen. Falls sie jemand erwerben will: kopfkino@hotmail.com

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