Cassandras Kopfkino
Samstag, 14. Juli 2007


TAG 7: DER AUSBRUCH
cassandra, Samstag, 14. Juli 2007, 17:20
Filed under: Ich beiss' in die Tischplatte
Visite ist heute wieder um erfrischende 7 Uhr. Der Herr Doktor schaut mir tief in die Augen. Alles ist super. Toll. Geradezu großartig.
Ihm rutscht versehentlich sogar ein „Erstaunlich“ angesichts der Werte meines linken, nicht operierten Auges heraus. Gemessen an seinem Temperament kommt diese Aussage eines rumpelstielzelesquen Rumgehopse und Hände über dem Kopf Geklatsche gleich. Grund für seine Verzückung sind die unerklärlich niedrigen Druckwerte, die ohne spezielle Behandlung auftreten und eventuell sogar die Operation am anderen Auge unnötig machen. Er kann sich die Entwicklung am linken Auge nicht erklären, doch ich weiss genau, was die plötzliche Verbesserung verursacht: Nackte Angst. Das linke Auge hat inzwischen dermassen die Hose voll, dass es sich jetzt am Riemen reisst, um ähnlichen Gäueltaten, die das rechte Auge erlitten hat, zu entgehen.
Der Herr Doktor sieht sehr glücklich aus, also bin ich es auch. Ich bin es leid, kompliziert zu sein. Ich will heim.
„Ich würde sie ungern gehen lassen.“ Das ist nicht nett, auch wenn es vermutlich so gemeint ist.

Einen halben Tag später, so gegen 10 Uhr, werde ich langsam wahnsinnig. Ein Freund von mir will heute auf dem Weg zur Arbeit vorbeischauen und mir einen Latte mitbringen. Ich wähle seine Nummer, um zu fragen, ob er bereits bei Starbucks in der Schlange steht. Er geht nicht ran. In der nächsten Stunde drücke ich noch ein paar Mal auf Wahlwiederholung. 14 unbeantwortete Anrufe später steht er endlich in der Tür. Ich greife nach meiner Handtasche und ziehe den Kerl hinter mir her in Richtung Ausgang. Wir müssen hier weg. Ich brauche was neues zum Anziehen. Ich stinke. Ich sehe schrecklich aus. Ich habe schlechte Laune.
Ich habe das Gefühl, dass der Krankenhausmuff mir aus allen Poren quillt. Ich muss sofort etwas zum Anziehen kaufen gehen und verlange, auf der Stelle zu einem bestimmten Baumwollhemdchengeschäft im Hafen gefahren zu werden. Der Freund setzt unsere Freundschaft gefährlich auf’s Spiel, indem er sich weigert. Letzten Endes hilft ein wenig sanfte Gewalt und moralische Erpressung. Er setzt mich am Hafen ab. Inzwischen ist es ein wenig sehr spät fürs Büro geworden und er muss los. Ist auch kein Problem, denn von hier aus kann ich nach dem Erwerb meiner neuen - und der Verbrennung meiner alten Leibchen, gemütlich zu Fuss in mein neues Heim zurückkehren.

Die plötzliche Weite, die mich umgibt ist erschreckend. Ich komme mir von einem Augenblick auf den nächsten vollkommen hilflos vor. Das eine Auge ist dick zugeschwollen und blutunterlaufen, das andere blickt durch ein Brillenglas, dass vor 10 Jahren vielleicht mal eine Stärke besass, die der Sehschwäche angemessen erschien.
Hier draussen ist alles sehr hell, sehr unscharf, das Blickfeld ist stark eingeschränkt und ich finde den Eingang vom Geschäft nicht. Aufgelöst renne ich links an der Glasfassade des Gebäudes entlang und rüttel an verschlossenen Türen. Ich kehre um und versuche es in der anderen Richtung. Alle Türen sind verschlossen. Ich presse die Nase an die Fensterscheiben, sehe jedoch auch keine Regale mit Kleidungsstücken, sondern statt dessen Schreibtische, an denen Menschen sitzen. Die mich komisch anstarren. Das könnte an meinem Schlapper-Samt-Jogginganzug-Outfit liegen, dass der Freund, der mich vorhin hier absetzte, nicht zu Unrecht als Schlafanzug bezeichnete.
Vielleicht starren die Leute auch auf diese eiternden Pusteln, die als allergische Reaktion auf die Pflaster, die man mir auf’s Auge klebt, meine rechte Gesichtshälfte zieren. Ich tapse einmal um das gesamte Gebäude herum und rüttle weiter an irgendwelchen Türen. Irgendwo entdecke ich einen Zettel. Das Geschäft gibt es gar nicht mehr. Es ist bereits vor einem halben Jahr umgezogen.
Ich würde jetzt gerne weinen, wenn ich dürfte, was jedoch nicht der Fall ist. Zudem werde ich gerade von einem erschreckenden Gedanken erhellt, der mich von meinem Unglück ablenkt. Ich werde mir nämlich darüber bewusst, dass ich hoffnungslos verloren wirkend, quasi im Schlafanzug, mit Matschauge, Ausschlag im Gesicht, bettzerwühltem Haar, ungeschminkt und in Flipflops inmitten des Medienhafens stehe. Einer Gegend, die fast ausschliesslich von meinen Kunden, potentiellen Kunden, Kollegen, freien Mitarbeitern unserer Firma, ehemaligen Kollegen und Dienstleistern von uns bevölkert ist. Und es ist Mittagspausenzeit. Vermutlich klingeln bereits jetzt die Telefone in der Firma und mein Chef muss darüber Auskunft erteilen, wie ich binnen so kurzer Zeit so tief abrutschen und auf der Straße landen konnte.

Ich drehe mich im Kreis auf der Suche nach Deckung und dem schnellst möglichen Rückweg zum Krankenhaus. In diesem Moment setzt ein Tornado ein. Es giesst aus Kannen. Es ist nicht nur verboten, dass Krankenhaus zu verlassen, sondern auch nicht sonderlich ratsam, mit kaputtem Auge in den von Keimen, Chemie und Bakterien durchsetzten Regen zu latschen.

Vor ein paar Jahren weilte ich einmal für ein paar Tage im Urlaub in irgend einer europäischen Großstadt. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann, wohin und mit wem ich diese Reise unternahm, aber ich erinnere mich an dieses Touristenpärchen. Sie waren beide um die 70, klein und unglaublich putzig, wie sie da beide nebeneinander an der Haltestelle standen und auf einen Bus warteten. Der Bus kam bereits sehr voll an. Ich vergass die beiden und drängelte mich mit den anderen Wartenden hinein. Als ich einen stabilen Stehplatz ergattert hatte, blickte ich wieder in Richtung Tür. Die ältere Dame war gerade eingestiegen. In diesem Moment schlossen sich ohne Vorwarnung die Türen des Busses und er fuhr los. Der alte Mann blieb an der Haltestelle stehend zurück. Er stand einfach nur absolut reglos da und starrte dem Bus nach, der seine Frau von ihm fortnahm.

Für einen kurzen Moment fühle ich mich wie dieser Mann. Vollkommen hilflos und mutterseelenallein in dieser fremden, kalten Welt.
Dann trete ich mir kurz und kräftig wegen dieses komplett überzogenen Anfalls von Selbstmitleid in den Hintern und rufe den Liebsten an, damit er mich abholen kommt.
Er fährt mich zur neuen Niederlassung des Geschäftes in der Innenstadt, ich ziehe mich bereits im Auto um und als ich ca. 3 Stunden nach meinem Ausbruch, strahlend und in komplett neuem Outfit wieder in der Station erscheine, fällt es noch nicht mal auf, dass ich weg war.
Den Rest des Tages verbringe ich damit, mir die Nägel schwarz zu lackieren.

Morgen geht es hier weiter mit den nägelkräuselnden Krankenhausgeschichten.

TAG 8: KEINE NEUIGKEITEN AUS LALALAND

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DEMNÄCHST EINZELZIMMER?
cassandra, Samstag, 14. Juli 2007, 11:03
Filed under: Ich beiss' in die Tischplatte
Marilyn folgt heute Angela und verlässt mich.
Eben fragte sie mich doch tatsächlich, ob sie den ganzen Ärzten und Assistenzärzten auch (!) Trinkgeld geben muss.

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Freitag, 13. Juli 2007
OMEN
cassandra, Freitag, 13. Juli 2007, 19:38
Filed under: Ich beiss' in die Tischplatte
Freitag, der 13. und ein Hochdruckgebiet, das meinen (realen) Namen trägt.
Toll. Geradezu genial. Als hätte ich nicht schon genug Probleme mit zu hohem Druck. Das heisst dann wohl, dass ich NIEMALS aus diesem Krankenhaus komme.

By the way: Bis dato haben mich fast alle einheimischen Bloggerinnen hier drinnen besucht. Wann bewegen Sie denn mal Ihr knackiges Popöchen hierher, junge Frau? ;-)
(Morgen lasse ich mich für ein paar Stunden entführen, um mich hoffnungslos zu betrinken eine Hochzeit aufzusuchen, aber dann bin ich bestimmt noch ein Weilchen hier.)

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TAG 4-6: AUF DEM WEG ZUR BESSERUNG
cassandra, Freitag, 13. Juli 2007, 11:20
Filed under: Ich beiss' in die Tischplatte
Am 4. Tag habe ich unerwartete Blutungen im Auge. Der Herr Doktor sagt mir bei der Visite, ich wäre kompliziert. Ich bin gekränkt. Man hat mich schon als vieles bezeichnet: zickig, anstrengend, nervtötend, egozentrisch, verwöhnt und rechthaberisch. Aber in der Regel bin ich mir darüber im klaren, dass ich zickig, anstrengend, nervtötend, egozentrisch, verwöhnt und rechthaberisch bin. Ich bin es oft sogar mit voller Absicht. Das macht mich berechenbar. Und Berechenbarkeit ist quasi das Gegenteil von Kompliziertheit. Trotzdem treffen bei mir all’ die Dinge ein, die stets im kleingedruckten als mögliche Risiken genannt werden.

Die Tage verlaufen relativ ereignislos. Mein Druck ist niedrig und gut. Mein Kreislauf stabilisiert sich, ich sehe aus, als hätte mir ein Pferd ins Auge getreten und renne einäugig durch die Gegend, weil alles so zugeschwollen ist, dass ich es nicht ohne Hilfe öffnen kann. Das Auge kann ich eh erst einmal vergessen. Nach den üblichen Untersuchungen will eine Assistenzärztin einen Sehtest machen. Ich frage sie, ob es ihr beliebt zu scherzen. Ich kann noch nicht einmal die Wand sehen, an der der Leuchtkasten hängt. Derzeit gelingt es mir lediglich, zwischen hell und dunkel zu unterscheiden.

Ich teile mein Zimmer mit Angela und Marilyn. Erstere ist Mitte 60, sehr dick und sehr gesprächig. Ohne Unterlass quasselt sie in breitem Neusser Dialekt. Sie ist ein wenig herrisch, aber auch sehr beliebt, denn wenn sie mir nicht gerade lautstark Geschichten aus ihrem Leben erzählt, hängt sie am Telefon oder unterhält riesige Besuchermengen, die sich in unserem winzigen Zimmer stapeln. Sie hat mich ins Herz geschlossen und ich wurde bereits von ihrem großen Bekannten- und Verwandtenkreis anektiert: muss ihren Besuchern von meinem Beruf erzählen, Fragen zu meinem Leben beantworten und ihr Ehemann flirtet sogar mit mir.
Marilyn hat nur eine Gemeinsamkeit mit Angela: sie redet auch gerne. Sie ist 75, sehr klein, zierlich und polnischer Herkunft. Sie spricht mich immer mit Frau Schulte an und nachdem ich ihr ungefähr 30x gesagt habe, dass ich nicht so heisse, ist sie zu Frau Cassandra übergegangen. Marilyn ist zwar sehr niedlich, macht meine Nächte jedoch zur Hölle. Sie kann nachts nicht bei geöffnetem Fenster schlafen und will stattdessen die Zimmertür geöffnet haben. Stundenlang starre ich des nächtens schwitzend an die Decke und bade in dem Neonflutlicht, das sich vom Flur aus ins Zimmer ergiesst.
Die Tatsache, dass beide Frauen ausdauernde Schnarcher sind, tut ihr übriges zu meiner Nachtruhe.

Während die beiden mich „unser Baby“ nennen, habe ich Ihnen ihre Namen bei einem Spiel verpasst.
So ein Tag im Krankenhaus kann nämlich sehr eintönig werden. Gegen 6 Uhr stehen die beiden Damen auf. Angela macht sich, lautstark die Ereignisse der Nacht auswertend, auf die Suche nach Kaffee (den es um diese Uhrzeit nie zu geben scheint), während Marilyn sich Lockenwickler in die Haare dreht. Sie wohnt bereits seit drei Wochen hier und bekommt nie Besuch, legt aber nach wie vor Wert auf eine tadelose Frisur.
Kurz vor 7 Uhr kommen die Schwestern ins Zimmer, um Blutdruck zu messen und Medikamente zu verteilen. Um 7:05 stehe ich auf und dusche manchmal (Hey. Immerhin wurde es mir untersagt.) und um 7:15 beginnt die Visite, zu der wir uns alle in einer Reihe auf Stühle vor die Behandlungszimmer setzen und darauf warten, aufgerufen zu werden. Ich komme stets zu spät und muss zum Ärger meiner Mitpatienten (die oft schon ab 7 Uhr dort sitzen) fast nie warten. Es zahlt sich also doch aus, kompliziert und unter 60 zu sein.

Um 8 Uhr gibt es Frühstück, um 12 Uhr Mittag und um 17 Uhr Abendbrot. Gegen 19 Uhr macht man sich bettfein und dazwischen passiert nichts. Es sei denn, man geht in den OP, aber ansonsten passiert GAR NICHTS. Nichts, nichts, nichts. Man darf nicht lesen und das Krankenhaus nicht verlassen.
Aus Ermangelung an Karten-, Brett- und Würfelspielen kam ich also auf die tolle Idee, dieses Post it Spiel zu spielen: man schreibt den Namen einer bekannten Persönlichkeit auf einen Post it und klebt ihn an die Stirn eines Mitspielers, der natürlich nicht sehen darf, was drauf steht. In Ermangelung von Post its, kann man auch durchaus Medikamentenanweisungszettel und Heftpflaster nehmen. So sass ich also mit Mrs. Monroe und Frau Merkel in der Runde, die beide nichts von Ihrer Identität wussten und nun raten mussten, wer sie sind. Frau Merkel und die Schwestern, die sich nach und nach in unserem Zimmer einfanden, um uns auszulachen mitzufiebern, hatten die Spielregeln schnell kapiert. Nur Marilyn tat sich damit ein wenig schwer.
Wir gaben ihr immer wieder Hinweise, um das Spiel in Gang zu halten.
“Fragen Sie doch mal, ob Sie schon tod sind.“ Marilyn bekam große, ängstliche Augen:
"Aber ich bin doch nicht tod. Ich sitze doch hier.“
„Doch. Sie sind tod. Sie sind ja nicht Sie selbst im Moment. Sie sind jemand anderes. Und diese Person ist tod.“
„Aber ich hatte doch noch gar keine Beerdigung. Ich kann nicht tod sein.“

Viele Erklärungsversuche später ist Marilyn wieder an der Reihe und schweigt hartnäckig.
“Sie müssen uns etwas fragen.“
Hilfloses Schweigen.
“Stellen Sie uns doch Fragen zu ihrem Beruf. Fragen Sie uns, was Sie beruflich gemacht haben.“
„Ich habe einen Schreibmaschinenkurs gemacht und später als Sekretärin gearbeitet...“
„NEIN.... Wir geben ihnen noch einen kleinen Tipp: Sie sind Schauspielerin. Aber manchmal singen sie auch.“
"Aber ich kann doch gar nicht singen. Meine Cousine, die Patrizia, die hat eine schöne Stimme..."
"NEIN. Sie sind raus. Ich bin dran."

Wenig später singen Angela und ich tatsächlich "Happy Birthday, Mr. President...", aber es hilft nichts.
Marilyn kam leider nie dahinter, wer sie war und wir haben es danach auch aufgegeben, weitere Spielchen zu spielen. (Wobei an dieser Stelle natürlich nicht unerwähnt bleiben sollte, dass ich bereits inach 3 läppischen Fragen gewann. Als Paris Hilton.)

Nun eilt uns unser Ruf über sämtliche Etagen des Krankenhauses voraus. Als einen Tag später eine neue Schwester das Zimmer betrat, um sich vorszustellen, fragte sie, ob wir denn die netten Damen seien, die immer so lustige Spiele spielen würden.


Freuen Sie sich jetzt schon auf die Fortsetzung dieser unglaublich spannenden Serie:

TAG 7: DER AUSBRUCH

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Donnerstag, 12. Juli 2007


TAG 3: EIN WIEDERSEHEN IM OP
cassandra, Donnerstag, 12. Juli 2007, 09:51
Filed under: Ich beiss' in die Tischplatte
Ich kotze mir den ganzen Tag meine Seele aus dem Leib. Meine Seele ist zähflüssig und ein wenig braun. Speisen und Getränke finden sich nicht anbei, da ich die Nahrungsaufnahme verweigere. Nicht unbedingt eine gute Idee, da die Chemie meinem Körper jedes noch so kleine Tröpfchen Flüssigkeit entzieht. Doch sobald ich auch nur ein winziges Schlückchen Wasser zu mir nehme, hänge ich schon wieder über der Toilettenschüssel.
Mein Blutdruck liegt bei 90 zu irgendwas. Ich soll punkt 7 Uhr zur Visite erscheinen und möchte den Weg dorthin am liebsten auf allen vieren kriechend hinter mich bringen. Während mein Oberarzt meine Augen untersucht, möchte ich ihm am liebsten ins Gesicht kotzen. Das sage ich ihm auch. Daraufhin reicht man mir ein Nierenschale aus Pappe. Ich weiss nicht, wie ich dort hinein treffen soll und es wäre mir höchstgradig peinlich, wenn etwas daneben gelangt oder die Pappe durchweicht. Ausserdem habe ich gewisse Hemmungen, mich vor anderen Menschen zu übergeben. Angesichts des niedrigen Blutdrucks schaffe ich es in Rekordzeit zurück in mein Zimmer, knie’ zum wiederholten Male vor der mir inzwischen ans Herz gewachsenen Keramikschüssel und finde Erleichterung. Ich umarme die Schüssel und möchte nie wieder aufstehen. Muss ich aber, denn der Herr Doktor ist nicht sehr glücklich mit mir und verlangt, mich erneut in seinem OP zu sehen, um weiteres Gel abzulassen. Ich bin inzwischen zum Scherzobjekt der Stationsschwestern mutiert, die sich darüber auslassen, dass der Herr Doktor offenbar eine Schwäche für mich hat und mich deshalb ständig operieren will, weil er sich nicht traut, mich zu einem Kaffee einzuladen. Hätte ich mich doch nur in seinem Gesicht übergeben, dann würde er mich vielleicht nicht mehr mögen.

Den Eingriff im OP kenne ich ja nun schon. Er unterscheidet sich nicht wirklich von den gestrigen. Ich beisse die Zähne zusammen, kralle mich in meinen Teddy und schwöre, dass ich der nächsten Person, die fragt, ob es etwa weh tut oder die sagt, dass ich mich entspannen soll, damit es weniger weh tut, an die Gurgel springe und mit einem Skalpell immer wieder ins Auge steche.

Den Rest des Tages verbringe ich im Bett und auf den Fliesen des Badezimmers.



Auf Grund der ganzen Krankenhaus-Action hier habe ich gestern abend vergessen, diesen Beitrag online zu stellen. Daher gibt es heute bereits die Fortsetzung (und aus Mangel an erwähnenswerten Neuigkeiten gibt es auch gleich 3 Tage auf einmal):

TAG 4-6: AUF DEM WEG ZUR BESSERUNG

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Dienstag, 10. Juli 2007


TAG 2: MIT DEM SKALPELL IM AUGE IN DEN HEILENDEN SCHLAF
cassandra, Dienstag, 10. Juli 2007, 22:26
Filed under: Ich beiss' in die Tischplatte
Meine Vorderkammer droht zu kollabieren. Die gestrige OP, die den Augeninnendruck senken sollte, hat ganze Arbeit geleistet. Ich bin quasi komplett augeninnendrucklos. Das findet man hier jedoch auch nicht wünschenswert, da die Kammern im Auge ohne Druck in sich zusammenfallen können.
Zum Zeitpunkt der Visite, die hier zu einem taufrischen Zeitpunkt von 7 Uhr stattfindet, unterschreibe ich alles ohne Wiederspruch. Auch, dass ich nachher noch ein weiteres Mal, diesmal ohne Narkose operiert werde. In dieser Herrgottsfrühe sind mir die Ausmaße dieser Entscheidung ziemlich schnuppe. Es handelt sich auch nur um einen winzigen Eingriff. Mit einem Skalpell wird ein kleiner Schnitt in der Iris vorgenommen, in den dann mit Hilfe einer Spritze ein zähflüssiges Gel eingelassen wird. Dieses Gel soll die Vorderkammer stabilisieren und den Druck wieder aufbauen.
Endlich darf ich bewusst an dem Spaß teilhaben. Vielleicht kann ich heimlich auch ein paar Fotos schiessen.

Den Fotoapparat darf ich dann leider nicht mitnehmen. Dafür einen kleinen Teddy, in den ich in den nächsten Minuten meine Fingernägel krallen kann.
Ich werde in den OP gefahren, darf auf eine OP-Liege hüpfen, ernte ein paar lustige Sprüche über meine Unterwäsche, die man zweifelsohne gut erkennen kann, wenn man ein hinten offenes Krankenhaushemdchen trägt und es gibt ein großes Wiedersehenshallo mit den Jungs vom OP. Wir kommen noch einmal auf den gestrigen Aufwachkuss des Frosches zu sprechen, den ich zu meinem Bedauern verpasst habe und ich werde ab sofort von Ihnen nur noch Prinzessin genannt.
Leider kann ich das Erlebte nicht sehr präzise wiedergeben, da ich meine Brille im Zimmer lassen musste und ohne selbige relativ wenig sehe.
Die Räumlichkeiten im OP sind in knalligem Hellblau gestrichen. Ich habe mal mein Büro in der Firma in diesem Farbton angemalt, bis mein Chef plötzlich eine Freundin hatte, die Feng Shui Expertin war und meinte, dass diese Farbe furchtbar schlechte Schwingungen auslösen würde. Daraufhin mussten wir es wieder weiss streichen. Von Feng Shui scheint der Interior Desiger des Krankenhauses nicht viel zu halten. Ich finde jedoch, dass das blau gut zu der tiefgrünen Bettwäsche passt, in die ich gebettet bin.
Der Herr Doktor klebt meinen Kopf mit einem Klebestreifen fest. Das verstehe ich nicht ganz, denn die Konstruktion ist im Falle einer winzigen Bewegung meinerseits zum Scheitern verurteilt. Dann wird ein Tuch über mich ausgebreitet, dass ein kreisrundes folienverklebtes Loch hat, das genau über meinem Auge platziert wird. Der Arzt nähert sich mit einem metallisch glänzendem Gegenstand der Folie und schneidet sie auf. Das ist wohl der erste Moment, wo ich zusammenschrecke. Ich habe mir im Leben schon so häufig beim Öffnen von Verpackungen in die Finger geschnitten, dass ich zu niemandem großes Vertrauen habe, der an einem Stück hartnäckiger Folie säbelt, die nur wenige Millimeter über meinem Auge schwebt.
Als die Folie endlich weg ist, beginnt der wahrhaft spaßige Teil. Damit ich auch brav mein Auge während des Eingriffs geöffnet halte, wird ein monströses Metallklemmenteil zwischen meine Lider geschoben. Das ist gar nicht so einfach, weil ich den Verdacht nicht los werde, dass die Klammer größer ist als mein Auge. Der Eindruck könnte natürlich auch täuschen, da mein Auge von der gestrigen Operation noch so geschwollen ist, das es gar nicht richtig aufgehen kann. Ich will kein Weichei sein und jammere nur still und heimlich in mich hinein, während ich die ersten Krümel der Teddybärfüllung zwischen den Fingern spüre.
Nachdem die Klammer endlich sitzt, sehe ich nicht mehr wirklich viel ausser grell beissendes Licht, ein paar Schatten und ein wenig Metall. Ich kann mich voll und ganz meinen Empfindungen hingeben und die sind eher unschön. Der Arzt meint, dass ich mich entspannen soll, das der Schmerz nur durch meine Gegenwehr entsteht, aber das kann ich nicht. Jeder Muskel meines Körpers steht unter Hochspannung. Im Auge gibt es keine Nerven, so dass logischerweise auch keine Schmerzen geben kann. Das ist jedoch eine Lüge. Ich merke sehr genau, dass jemand in meinem Auge bohrt, der Augapfel hin und her geschoben wird und es tut verdammt noch mal weh.
Nach 5 Minuten ist alles vorbei. Ich darf zurück in mein Zimmer und meine Besucher lenken mich ein wenig von den erlitten Qualen ab.

Gegen Nachmittag macht sich ein ziemlich unangenehmer Kopfschmerz in meiner rechten Gehirn- und Gesichtshälfte breit. Ich lasse mir ein Mittel geben doch in den folgenden Stunden wird der Schmerz immer stärker.
Alle halbe Stunde stehe ich heulend vor der Stationsschwester und verlange nach höheren Dosen. Mein Kopf fühlt sich an, als würde eine sehr wütende Stilettoträgerin ihre Pfennigabsätze wieder und wieder in mein Hirn rammen.
Die Schwestern informieren die Bereitschaftsassistenzdokteuse, die jedoch keine Lust hat, mich zu sehen und per Ferndiagnose bescheinigt, dass der Kopfschmerz auf keinen Fall mit dem Auge zusammenhängen kann. Inzwischen bekomme ich sehr hochdosierte Schmerzmittel, doch nichts hilft. Stattdessen gesellt sich Übelkeit hinzu und schon bald übergebe ich sämtliche Inhalte meines Körpers in die Toilettenschüssel. Viel ist es nicht, wenn man bedenkt, dass ich seit 2 Tagen so gut wie überhaupt nichts gegessen habe.
Die Bereitschaftsassistenzdokteuse hat irgendwann ein Erbarmen und bestellt mich zu sich. Sie misst meinen Augeninnendruck. Der befindet sich jenseits von gut und böse.
Bei einem Druck über 20 ist der Druck zu hoch und kann den Sehnerv schädigen, bei meiner Einlieferung lag der Druck bei 30 und das Ziel nach einer OP liegt bei um die 10. Ich befinde mich heute bei 44. Ich wusste noch nicht einmal, dass ein derart hoher Druck überhaupt möglich ist. Offensichtlich leistet das Gel ganze Arbeit.
Man pumpt mich mit drucksenkender Chemie voll. Weder der Schmerz noch die Übelkeit nehmen ab. Die von mir hochgeschätzte Frau Bereitschaftsassistenzdokteuse ist wohl bereits auf dem Weg nach Hause, als die Nachtschwester sie zurückpfeift. Zumindest steht sie plötzlich in Jacke und mit Handtäschchen vor mir und erklärt sich bereit, nochmals meinen Druck zu messen. Ich liege immer noch bei 44.
Die Oberärztin wird aus dem Bett geholt und erscheint zu meiner Rettung.
Sie führt einen weiteren Eingriff durch. Sie führt ein Skalpell in den heute beigebrachten Schnitt in der Iris ein und drückt einen Teil des Gels wieder heraus. Das wird schwieriger als sie denkt, weil es wohl zwei Sorten dieses Gels gibt: ein dünnflüssiges und ein dickflüssiges, geradezu zementartiges. Raten Sie mal, welches ich im Auge habe. Eine Viertel Stunde schubbelt und drückt sie in dem Schlitz herum, doch ich bekomme davon kaum etwas mit, weil ich mit anderen Problemen beschäftigt bin. Es stimmt tatsächlich: die beste Methode, Schmerz vollkommen auszublenden ist eine andere Schmerzquelle.
Für den Rest der Nacht werde ich an den Tropf gehängt. Alle 2 Stunden schiebe ich das Gefährt in Richtung Toilette, um mich zu übergeben, was gar nicht so einfach im dunklen ist, wenn man seine Bettnachbarn nicht wecken will. Ich möchte nur noch ins Koma fallen und erst wieder erwachen, wenn dies hier alles vorbei ist.

Und morgen geht es schon weiter mit:
TAG 3: EIN WIEDERSEHEN IM OP

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