Cassandras Kopfkino
WIE MIR JULIETTE IHRE OHRRINGE SCHENKTE
cassandra, Dienstag, 24. Januar 2006, 21:26
Filed under: Begegnungen
Beim Durchforsten dieses Blogs ist mir bewusst geworden, dass ich meine Reihe "Erlebnisse in zweifelhaften Amusement Etablissements" versprochen hatte, fortzusetzen. Also nicht, dass mich jemand darum bat, aber da ich die Fortsetzung meiner ersten Puff-Erfahrung nun schon begonnen hatte, kann ich sie ja auch beenden.

Im Sommer findet in Cannes das einwöchige Internationale Werbefilmfestival statt. Gleich nach dem Pornofilmfestival, dass wiederum nach den richtigen Filmfestspielen ist. Die zeitliche Einordnung lässt vielleicht bereits erahnen, was die Franzosen von den Werbern halten.
Die Vorbereitungen für das größte Massenbesäufnis der Branche beginnen damit, dass die Angestellten des Hotels Martinez die alte, verschlissene Auslegeware ausrollen, um den dicken Flausch, über den kurz zuvor Hollywoodgrößen und vollbusige Bettakrobatinnen gewandelt sind und der den Boden der Bar den Rest des Jahres bedeckt, zu schützen.
Fast jeder Abend endet nach Abendesseneinladungen und verschiedenen Partys in der hoffnungslos überfüllten Bar. Gegen halb Fünf schliessen sich jedoch auch dort die Türen und die Franzosen schmeissen das trinkfreudige Werbervolk erbarmungslos auf die Straße. Dort stehen sie dann unbeholfen herum: ca. 500 vollkommen betrunkene, grölende Menschen, mitten auf einer Kreuzung, Ausschau haltend nach einem potentiellen Geschlechtsverkehrpartner, auf der Suche nach einem weiteren Getränk oder wenigstens einem Taxi, das sie zur nächstbesten gutbestückten Minibar kutschiert.
Dabei ist die Rettung so nah. Schräg gegenüber vom Martinez befindet sich eine große, graue Stahltür, vor der sich ein muskelbepackter, six-pack-bäuchiger, milchkaffeefarbener, sehr schöner Mann aufgebaut hat und die Passanten kritisch mustert. Findet man in seinen Augen Gnade, öffnen sich die Pforten zum schnuckeligsten und vermutlich kleinsten Freudenhauses Frankreichs. Das „Haus“ besteht eigentlich nur aus einem winzigen Raum, einem kleinen Verschlag, der als Unisex-Toilette dient und einem Lagerraum. Keine Zimmer oder andere Verlustigungsräumlichkeiten. Wer eine der Damen in einem intimeren Umfeld kennenlernen möchte, soll sie gefälligs in sein Hotelzimmer einladen. Auf den ersten Blick erinnert nicht viel an einen Puff. Der Raum gleicht vielmehr einer gemütlichen kleinen Bar, mit einer verspiegelten Theke, einer Discokugel an der Decke, französicher floraler Tapete an den Wänden, gedämpften Licht und gemütlichen Sitzecken. Neben der Theke ist eine verspiegelte Nische in die Wand eingelassen, in der sich eine Stange versteckt. Bei meinen jährlichen Besuchen habe ich dort jedoch immer nur betrunkene weibliche Gäste tanzen sehen. Die dort angestellten Damen verhalten sich eher angenehm zurückhaltend. Sitzen schwatzend am Tresen, schlürfen an einem Glas Champagner und beobachten die angeheiterten Gäste, die den Weg hierher gefunden haben.

An einem schwülen Abend im Juni letzten Jahres war es einmal wieder so weit.
Ein Teil der Kollegen verzog sich rasch in Richtung Hotel. Daher hatte ich die noch immer volle, sündhaft teure Flasche Champagner für mich allein. Der verbliebene Kollege und der Agenturtyp, den wir im Schlepptau hatten, begnügten sich mit Bier. Der Kollege bekam einen Hustenanfall, als ich ihm den Preis meines Getränkes nannte und schalt mich, weil ich die Bestellung vollkommen falsch angegangen war. “Normalerweise bekommt man für das Geld eine Frau dazu, die sich zumindest mit einem unterhält.“ Das klang logisch und ich bin die Letzte, die sich derartigen ökonomischen Betrachtungen verschliesst.

Ich sah mich nach einer Gesprächspartnerin um. Eine Frau fiel mir auf. Man konnte sie nicht wirklich als schön bezeichnen. Sie hatte riesige, warme Augen, die zu weit auseinander standen, war ein wenig pummelig und hatte ein sehr liebes, fröhliches Lächeln. Ich lud sie ein, mir beim Leeren der Flasche zu helfen und uns ein wenig Gesellschaft zu leisten. Juliette strahlte mich dankbar an und nahm in unserer Runde Platz. Sie weigerte sich nach dem ersten Glas, weiter bei mir mitzutrinken. Das wäre viel zu teuer und sie bekäme ein schlechtes Gewissen, eine Frau auszunehmen. Auch als eine Bardame, die partout kein Wort Englisch verstehen wollte, meine noch immer gefüllte Champagnerflasche abräumte (ein oft benutzter Trick, angetrunkene Gäste zu verwirren und zur Bestellung eines weiteren Getränkes zu animieren), entpuppte sich unsere Tischdame als rettender Engel im zwielichtigen Dschungel der Freier Gäste-Abzocke.
Juliette war wie die meisten anderen Damen nur für die Saison nach Cannes gekommen. Normalerweise arbeitete sie als Kindergärtnerin in der Bretagne. Sie liebte Kinder, auch wenn sie selber keine geboren hatte. Sie mochte ihren Ferienjob. Nur selten schlief sie mit einem der Gäste. In der Regel unterhielt sie sich mit den Männern und trank Champagner. Nur wenn sie einen Mann nett fand, war sie bereit, mit ihm ins Hotel zu gehen. Ich fragte sie, ob die Erwartungen, die ein Gast angesichts der Champagnerpreise an sie stellen würde, nicht über den Rahmen eines Gespräches hinausgehen würden. Sie lachte glucksend und zwinkerte mir zu. Küssen würde sie die Gäste manchmal schon, auch ohne mit ihnen mitzugehen. In diesem Moment beugte sie sich zu mir herüber und ihre Lippen berührten meine. Für einen kurzen Moment versank ich in dem Kuss, dann löste ich mich von ihrem Mund. Aus irgendeinem Grund hatte ich ein schlechtes Gewissen: Ich habe Dir doch gar keinen Champagner ausgegeben, also brauchst Du mich auch nicht zu küssen. Wieder lachte sie fröhlich. Ich küsse, weil es mir Spass macht, nicht, weil ich hier arbeite.
In der Zwischenzeit hatte der Agenturtyp seinen Fotoapparat gezückt, war aufgesprungen und schoss ein paar Bilder von uns. Wir posierten für weitere Fotos und setzten dann unser Gespräch fort. Irgendwann bemerkte sie das Armband, dass ich an diesem Abend trug und bewunderte es.
Der Champagner war mir inzwischen zu Kopf gestiegen und hüllte mich in eine wuschelweiche Zuckerwattewolke. Kurzerhand löste ich es von meinem Handgelenk und wollte es ihr schenken. Sie war entsetzt und weigerte sich, es anzunehmen. Doch ich versicherte ihr, dass ich mir nicht allzu viel aus Schmuck mache und es sicher nicht vermissen würde.
Sie sprang auf und lief in Richtung Tresen davon. Nach ein paar Minuten kam sie mit einem Paar glitzernder Ohrclips zurück, drückte sie mir in die Hand und strahlte mich an. Es waren vermutlich die hässlichsten Ohrringe, die ich jemals gesehen habe: riesige Blüten mit einem Durchmesser von fünf Zentimetern, besetzt mit braunen und orangenen, tränenförmigen Strasssteinen. Stolz clipste ich sie mir an die Ohrläppchen.
Mit meinen neuen Schmuckstücken und in Begleitung der zwei Herren trat ich kurze Zeit darauf ins grausame Sonnenlicht vor die Stahltür. Ein Taxi fuhr uns ins Hotel und binnen Sekunden versank ich in einen seligen Schlaf.

Am nächsten Morgen trug ich meinen kleinen Kater zum Strand und liess ihn sich in der Sonne aalen.
Irgendwann spazierte der Agenturtyp der vorangegangenen Nacht an mir vorbei. Ich rief ihm zu, dass er mir unbedingt die Pufffotos von gestern nacht mailen solle. Er tat, als hätte er kein Wort gehört und setzte mit starrem Blick seinen Weg durch den Sand fort. Vorbei an mir, in Richtung seiner Frau, die ungefähr drei Meter von mir entfernt mit ihrem einjährigen Sohn auf einem Handtuch sass und ihn erwartungsvoll musterte.
Die Bilder habe ich leider nie bekommen.

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rudelmario, Mittwoch, 25. Januar 2006, 09:24
Früher
war ich auch regelmäßig im Puff.

War immer recht nett, man kannte sich, die Damen waren freundlich und wenn ich wieder gegangen bin bekam ich zwischen 50 und 150DM.

Okay, ich bin Taxi gefahren und für jeden abgelieferten Gast gab es nen Fuffy Kopfgeld. Und ab und an ne Cola und ein paar nette Gespräche.

Es war nur eine "interessante" Situation, als mich zwei Damen freundlichst in der FuZo grüßten, meine damalige Freundin nach deren Ursprung fragte und mein "Die arbeiten in der Villa!" sie mehr als nur verwirrte.....

mehr bitte
you save my day

Köstlich :O)
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nomad, Montag, 30. Januar 2006, 20:39
hehehe, schöne geschichte.
pufffotos...hehehe
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