Cassandras Kopfkino
Dienstag, 12. Juli 2005
TEASER
cassandra, Dienstag, 12. Juli 2005, 01:15
Filed under: Erinnerungen
Ich arbeite in einer – nun sagen wir mal – etwas ungewöhnlichen Firma. Ein wenig Sekte, ein wenig Therapiegruppe und ganz viel Familie. Mit den üblichen Zickereien und wir-haben-uns-alle-lieb-Umarmungen, kleinen und großen persönlichen Aussprachen, jeder Menge Klatsch und Tratsch und einem Chef an der Spitze unseres Weiberhaufens.
Hin und wieder gibt es auch andere männliche Angestellte. Die sind jedoch eher klein, schmalbrüstig und Anfang bis Mitte Zwanzig.
Das schlimme an unserer Firma ist, das man nicht wegkommt. Diejenigen, die den Absprung in die weite Welt dort draussen geschafft haben, wollen alle wieder zurück (es sei denn, sie wurden kollektiv vertrieben, weil sie der Familienidylle schadeten und selbst von denen klopfen einige mit dem Versprechen, sich gebessert zu haben, wieder an die Firmentür).

So unterschiedlich ein jeder von uns ist, gibt es doch eine Gemeinsamkeit, die scheinbar Einstellungskriterium ist: Trinkfestigkeit. Unsere Partys sind legendär und wenn wir irgendwo einfallen, erzählt man sich davon noch Jahre später.

Zwei Mal im Jahr erreicht das sündige Partyleben seinen Höhepunkt. Enden tun diese orgastischen Feierlichkeiten in der Regel im Puff.
Zum einen wäre da der alljährliche Besuch der Kirmes an einem Donnerstag, der, nachdem wir auch aus der letzten schlechten Altstadt Diskothek herausgeschmissen werden und auch rein gar nichts mehr geöffnet ist, auf einen kleinen Absacker in zwielichtigen Etablissements endet und zum anderen die Werbefilmfestspiele in Cannes, wo nach 5 Uhr morgens kein Getränk mehr zu erwerben ist.

In den nächsten Tagen möchte ich an dieser Stelle über meine Erlebnisse aus dem Rotlichtmilieu berichten was tut man nicht alles für seine Zugriffszahlen.
Also schauen Sie morgen wieder rein und lesen Sie:
„Als ich mit Francesca an der Stange tanzte und weshalb mich mein Chef noch heute auslacht“.

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LEBENSWEISHEITEN EINER RENOVIERENDEN UMZIEHENDEN
cassandra, Montag, 11. Juli 2005, 16:11
Filed under: Alltag
1. Tapetenabklebeband und Latexfarbe vertragen sich ausserordentlich gut miteinander. Sie gehen sogar eine sehr innige und untrennbare Beziehung ein. Da Klebestreifen an den Wänden jedoch das ästhetische Empfinden der Wandmieterin stören und sie versucht ist, selbigen wieder zu entfernen, kann man mit Hilfe des Streifen die komplette Farbe gleich wieder mit abziehen. Sieht richtig scheiße aus. Aber wer bin ich schon, dass ich das junge Klebeglück zerstören will.

2. Von Plänen, innerhalb von vier Wochen umzuziehen (inkl. Wohnungskündigung, Nachmietersuche, Renovierung der neuen Wohnung) ist abzuraten, wenn die Betreffende zwei von den vier Wochen in Bayern und Cannes rumschwirrt und in den anderen beiden Wochen Vollzeit arbeitet.

3. Zum Bloggen kommt man in solchen Zeiten natürlich auch nicht, obwohl es die eine oder andere Geschichte aus Cannes wert wäre, erzählt zu werden.

4. Für das Abreissen von zwei Schichten alter Tapete und mind. vier Farbanstrichen auf Rigips, verteilt auf 15qm Wand, sollte man gut 5 Nächte einplanen. (Die Hälfte der Zeit geht allein für's Fluchen und die Wein/Zigarettenpausen drauf.)

5. Die Nachmietersuche ist eine nervende Angelegenheit und Wohnungssuchende verlogene, unzuverlässige Schmarotzer.

Prinzipiell interessieren sich nur zwei Kategorien von potentiellen Nachmietern für meine unrenovierte kunterbunte Wohnung: Homosexuelle und junge Mädchen, die mit der ganzen Familie einfallen.

FRANK
Frank hyperventilierte bereits am Telefon. Ob die Wohnung denn noch frei wäre und ob er sie sofort besichtigen könnte. Frank sagte sogar seine anderen Besichtigungstermine ab, denn er hatte sich verliebt.
Als er dann meine Wohnung betrat, kam er aus dem Jauchzen nicht mehr heraus. Er hüpfte aufgeregt durch die Zimmer und sprang in seinem Übereifer auf den Wassernapf der Katzen, der in viele Einzelteile zersprang.
Sogar die Küche wollte er mir abkaufen (und die Möbel, dem musste ich allerdings Einhalt gebieten). Er bot mir 500 Euro. In einem kurzfristig auftretenen Überschwang der Gefühle wollte ich jedoch nur 400 Euro haben. Er wollte den Vertrag so schnell wie möglich unterzeichnen und einziehen.
Am nächsten Vormittag rief ich ihn an, um nach der Faxnummer zu fragen, an die ich die Unterlagen schicken könnte. Frank hatte es sich jedoch über Nacht anders überlegt und trotz abgesagter Besichtigungstermine eine andere, billigere Wohnung gefunden.

Ich überlege derzeit noch immer, ob ich ihn für die Tatsache, dass meine Katzen seit zwei Wochen nichts mehr zu trinken bekommen haben, verantwortlich machen kann.

FRANZISCA
Der Liebste hatte für den vorletzten Samstag seinen Besuch angekündigt.
Ein exakt ausgearbeiteter Zeitplan sollte die Vorbereitungen für das geplante Renovierungswochenende Liebeswochenende mit der Zweiwohnungslogistik koordinieren: 10 Uhr aufstehen, alte Wohnung aufräumen, Supermarkt, Getränkemarkt, Weinhändler, Baumarkt, Auto in der neuen Wohnung ausladen, Auto in der alten Wohnung ausladen, 15:30 Uhr Badewanne (Beine rasieren), 15:45 Uhr Besichtigungstermin mit Franzisca und Lebensgefährten, 16:00 Uhr Abfahrt zum Bahnhof, 16:05 Uhr Liebsten in Empfang nehmen.

Punkt 15:30 Uhr stieg ich in die Badewanne. Das Haar war gerade eingeschäumt, der Rasierer lag griffbereit, als es an der Tür schellte. Für einen Moment lag ich wie erstarrt und versuchte, zu überlegen, wie ich mit der Störung meines empfindlichen Zeitkonstruktes umgehen sollte. Es schellte erneut. Ich sprang aus der Wanne und betätigte den Summer für die Haustür. Ich hatte wohl zu kurz auf den Knopf gedrückt, denn die Klingel ertönte erneut. Pitschnass lief ich durch die Wohnung und versuchte, etwas zum anziehen zu finden. Als ich die Wohnungstür öffnete, erwartete mich im Hausflur gähnende Leere. Keine Franzisca, die die Treppe hinaufkam. Für einen Moment überlegte ich, ob es sich vielleicht um jemand anderen gehandelt haben könnte. Ich setzte mich in meinen mittlerweile nassen Klamotten an den Küchentisch und wartete. Um 15:50 Uhr wählte ich Franziscas Nummer. Das Handy klingelte, doch niemand ging ran. Ich zog mich aus und kehrte in die Wanne zurück. Inzwischen hatte ich meinen Zeitplan gefährlich überschritten. Während die Klingen über die Haut glitten, wurde ich immer wütender angesichts der Unverschämtheiten, die man sich bei der Nachmietersuche gefallen lassen muss. Da der arme Liebste inzwischen unabgeholt am Bahnhof stand, hetzte ich durch die Wohnung, stieg in die feuchten Sachen und eilte die Treppe hinunter. Auf halben Wege wurde mir bewusst, dass etwas fehlte. Ich hatte den Autoschlüssel in der Wohnung vergessen. Die Rückkehr in selbige wurde jedoch durch die Tatsache vereitelt, dass sich der Wohnungsschlüssel in seiner Gesellschaft befand.
Ich verbrachte also die nächste Stunde in Gesellschaft des Liebsten, der mit der Straßenbahn kommen musste, mit nassen Haaren auf der Treppe im Hausflur, um auf meinen Ersatzschlüssel zu warten.
Meine Rachepläne, die grob etwas mit Telefonterror und bösen Verbalattacken auf Franzisca zu tun hatten, habe ich inzwischen ad akta gelegt.

JULIA
Julia hatte Mutti und Vati im Schlepptau, als sie letzten Sonntag vorbeikam. Sie hatte den Termin am Tag davor auf halb elf vorverlegt. Vollkommen verzweifelt, da ich immer noch keinen Nachmieter gefunden hatte Zähneknirschend hatte ich zugestimmt, wohlwissend, dass der Liebste und ich eher Wochenendlangschläfer sind.
Der Wecker klingelte um 10 Uhr. Da ich mich für wach hielt, schaltete ich ihn aus, nur um eine halbe Stunde später von der Klingel geweckt zu werden. Panisch sprang ich in eine Hose und ein Shirt, setzte mir die neben dem Bett liegende Brille auf und öffnete die Haustür.
Vier Stockwerke Zeit, um den Liebsten wach zu bekommen. Er murrte ein wenig und war eher unerfreut. Er konnte seine Brille nicht finden und weigerte sich, das Bett ohne selbige zu verlassen.
Der Gedanke, Julia ihre neues Schlafzimmer samt eines nackten, mürrischen, blinden Mannes im Bett, zu präsentieren, war befremdlich.
Hektisch lief ich durch die Wohnung, auf der Suche nach der Sehhilfe.
Wenige Sekunden bevor die Türklingel schellte, realisierte ich dass ich die Brille des Liebsten auf der Nase trug.
Ich führte Julia nebst Eltern solange durch das eine Zimmer und referierte über die Geschichte des Hauses, bis sich die Schlafzimmertür öffnete und ein bekleideter Liebster erschien und "Morgen" murmelte.
Julia hat sich nach ihrer morgendlichen Störung natürlich nicht mehr gemeldet (dabei sah der Liebste ganz manierlich aus).

6. Es ist äussert hilfreich, in Phasen wie diesen einen Liebsten an seiner Seite zu wissen, der Tapeten anklebt, alle Umzugskartons packt, schaut, ob die Wasserwaage gerade ist, Ikeamöbel zusammenschraubt und Frusttränen wegstreichelt.

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