Cassandras Kopfkino
Donnerstag, 2. November 2006
KATZENBLOGGEN
ODER WIE ICH MAL EIN HAUFEN BABYS AUF DIE WELT BRACHTE
cassandra, Donnerstag, 2. November 2006, 11:03
Filed under: Erinnerungen
Berta und Heinz-Egon gehörten nicht wirklich meinen Eltern. Das Herrchen des Geschwisterpärchens war ein einbeiniger Säufer, der nebenan lebte. Da er oft wochenlang von der Erdoberfläche verschollen war, um vermutlich seinen Rausch auszuschlafen, wurden die beiden von meinen Eltern adoptiert, die sie mit Speis und Trank auf ihrem Hof versorgten.


Keine Ahnung, ob es im Umfeld des Dorfes keine anderen Kater gab, die Berta als würdig empfand, sie zum Zwecke der Erweiterung des Genpools zu schwängern, sie entschied sich für ihren Bruder Heinz-Egon. Das war wohl nicht nur auf Grund des Verwandtschaftsgrades am Rande der Legalität, sondern auch, weil beide noch minderjährig waren.
Berta, selbst noch nicht ganz ausgewachsen, kam mit ihrer Schwangerschaft nicht wirklich klar und bekam eines Tages wohl deshalb - ganz katzenuntypisch - ausgerechnet mitten auf dem Wohnzimmerteppich meiner Eltern ihre Wehen.
Da ich zufällig just an diesem Abend zu Besuch weilte, musste ich als Geburtshelfer einspringen.
Sie zitterte am ganzen Leib und geriet immer wieder in Panik, weil sie nicht so recht verstand, was da vor sich ging und ich streichelte ihr stundenlang den Bauch, bis sich das erste kleine Köpfchen endlich zeigte. Nachdem das erste kleine Fellknäul das Licht der Welt erblickt hatte (nunja, falls man diesen Ausdruck bei geschlossenen Augen überhaupt verwenden darf) ging es zügig weiter. Berta war hoffnungslos überfordert mit der Situation, sich um bereits geworfenen und sich im Wurf befindlichen Nachwuchs zu kümmern und drohte immer wieder, sich aus Versehen des selbigen durch Draufwälzen zu entledigen. Ich nahm die Kleinen beiseite, um sie zu wärmen und abzutupfen, doch nach 4 kleinen Bälgern gegen 4 Uhr morgen schien das schlimmste überstanden und ich wankte todmüde, aber glücklich zu Bett.
Am nächsten Morgen zeigte sich, dass sie noch zwei weitere bekommen hatte, von denen eines jedoch bewegungslos und ohne erkennbare Lebenszeichnen am Rand der Decke lag.
Mir selbst Vorwürfe machend, weil meine Bequemlichkeit den Tod eines der unschuldigen Geschöpfe verursacht hatte, fuhr ich schweren Herzens an jenem Tag nach Hamburg zu einer Kundenabnahme. Auf der Fahrt rief mich plötzlich meine Mutter an. Kleinlaut druckste sie ein wenig herum und ich ahnte, daß etwas mit meinen Schützlingen nicht stimmte. Nachdem sie eine Weile um den heissen Brei herumgeredet und mir lang und breit erklärte hatte, dass sie unmöglich so viele Katzen auf dem Hof behalten könnten, da sie zum einen gar nicht ihnen gehörten und zum anderen meine Eltern nur am Wochenende daheim waren und bisher immer eine Nachbarin zum Füttern bemüht hatten, rückte sie mit der Wahrheit heraus: sobald ich losgefahren war, hatten sie selbige Nachbarin herübergebeten, um meinen Nachwuchs im nahe gelegenen See zu ertränken.
Für den Rest des Tages war ich für nichts mehr zu gebrauchen. Meine Kunden versuchten, peinlich berührt darüber hinwegzusehen, dass mir immer wieder die Tränen in die Augen stiegen, aber Verständnis hatte keiner so richtig. Im Grunde genommen handelte es sich ja nur um Katzen und die Erfahrung, bei der Entstehung von Leben so hautnah dabei zu sein, konnte keiner so recht teilen.
Eines der kleinen hatte die grausame Nachbarin verschont. Ein kleiner Rotschopf, den meine Eltern mir zu Ehren Boris tauften (da ich damals gerade einen Werbespot mit einem ehemaligen Sportler mit diesem Namen gedreht hatte).

Boris war ein Sonnenschein und ich musste jedes Mal bei Besuchen harte Kämpfe mit mir und meinen Eltern durchstehen, weil ich ihn am liebsten eingepackt und mitgenommen hätte. Er liebte den Hund meiner Eltern und liess sich von ihm immer ins Maul nehmen und herumschleudern, um Karussell zu spielen.
Auch ein paar Wochen später stellte meine Mutter mich vor vollendete Tatsachen, als sie mir telefonisch mitteilte, dass sie ihn weggegeben hatten. Nun wohnt er in Bremen und schickt uns jedes Jahr um Weihnachten herum ein Foto. Riesig und elegant ist er geworden. Wenn ich die Fotos so ansehe, werde ich immer ein wenig traurig, dass ich ihn damals nicht einfach mitgenommen habe. Ihn und seine Geschwister. Aber man wirkt ja ein wenig schrullig, wenn man mehr als zwei Katzen hat.

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