Cassandras Kopfkino
Mittwoch, 15. August 2007


DIESMAL GIBT'S 'NEN KUCHEN
cassandra, Mittwoch, 15. August 2007, 01:18
Filed under: Ich beiss' in die Tischplatte
Hallo mein liebes Trabekulektomie-Tagebuch,

vorab möchte ich Dich um Verzeihung bitten, dass ich Dich so schändlich vernachlässigt habe. Mir kamen ein paar Tage Paris in die Quere und als dann neulich meine Fäden im Auge gezogen wurden, in der Hoffnung, dadurch die Sickerzone zu vergrößern und den immer noch zu hohen Druck zu senken, war das gar nicht weiter der Rede wert.
Doch nun möchte ich mich wieder in deine Seiten erbrechen und dich auf den neusten Stand bringen.

Inzwischen halte ich mich für einen Statistik-Witz. Ich wünschte, meine Aussichten, die (Un)wahrscheinlichkeit zu schlagen, würden sich auf weitere Bereiche meines Lebens, insbesondere in Hinblick auf meine glücksspielerischen Aktivitäten, ausweiten.
Natürlich gibt es vor jedem operativen Eingriff eine Reihe an möglichen, doch mehr oder minder unwahrscheinlichen Risiken. Man könnte zum Beispiel unerwartete Blutungen im Auge bekommen. Ich weiss jetzt zwar leider nicht, wie groß die Aussicht darauf ist, aber gehen wir mal der Einfachheit halber von einer Chance 1:6 aus. Die liesse sich nämlich sehr gut mit einem Würfelspiel vergleichen. Die Chancen, mit einem Würfel eine 6 zu würfeln, stehen selbstverständlich bei 1:6, also 16,7%. Man könnte nun weiter die (an den Haaren herbeigezogene) Hypothese aufstellen, dass die Wahrscheinlichkeit eine 6 zu würfeln ebenfalls mit der übereinstimmt, einen extremen Druckabfall (oder Druckanstieg) im Auge nach der Operation festzustellen. Das wären erneute 16,7%. Das jedoch beide Schwierigkeiten auftreten, man also 2x hintereinander eine 6 bei nur 2 Würfen würfelt, reduziert das ganze auf schlappe 2,78%.
Dies hiesse nämlich, dass es 6x6 mögliche Würfelkombinationen gäbe, von denen jedoch nur eine (die aufeinander folgende 6) für mich in Frage käme. Die Chancen stehen also bei 1:36 oder eben 2,86%.
Ich habe in den vergangenen Wochen wohl 5 mal in Folge eine 6 gewürfelt. Die (leider fällt mir langsam kein anderes Wort dafür ein) Wahrscheinlichkeit dafür beträgt - und jetzt halt Dich fest, liebes Tagebuch - 0,01286%. Wenn das mal nicht fast der Jackpot ist.

Nun habe ich bereits schon wieder einen Sechser. Erstaunlich, oder?
Ich hatte Dir ja vor einer Weile geschrieben, dass ich derzeit nicht mehr so richtig gut gucken kann. Bei einem Sehtest kam der Herr Doktor zu dem Entschluss, dass mein derzeitiges Sehvermögen bei schlappen 30% liege. Mit Sehhilfe. Vorübergehend.

Optimistisch - und jeglicher medizinischen Grundlage entzogen - aus der Hüfte geschossen, würde ich dies jedoch auf 50% hoch korrigieren. Es fühlt sich zumindest so an, als könne ich nur noch halb so gut schlecht (Sorry, das wäre dann natürlich ein doppelt so schlecht) sehen, wie zuvor. Trotz Brille auf der Nase verschwimmt alles, was sich ausserhalb eines Radius von ca. 2 Meter um meine Wenigkeit herum abspielt, in einem Brei von verschwommenen Farben und Formen und die frühere Begrenzung des Blickfeldes ist längst in die Dunkelheit entglitten.
Wie gesagt, handelt es sich dabei wohl um eine vorübergehende Erscheinung, da die Pupille durch den Eingriff verformt und vergrößert ist. Ich vermute mal, das ist wie in der Fotografie. Wenn ich mit einer großen Blende arbeite, ist die Schärfentiefe eher gering und je kleiner die Blende wird, umso mehr nimmt die Schärfentiefe zu. Und ich habe derzeit eine recht große Blende im rechten Auge. Selbst bei starkem Lichteinfall zieht sich die Pupille nicht wie gewohnt zusammen, sondern ich glotze hilflos wie ein einäugiges Reh in den Scheinwerfer.
Die Kratzer, Schrammen und blauen Flecke an diversen Körperteilen können bezeugen, dass ich daher nicht in Vollbesitz meiner motorischen und visuellen Fähigkeiten bin. Fotos während meines Paris-Kurztrips zu schiessen war auf Grund der Tatsache, dass es schlicht und ergreifend zu hell in Frankreich war, ebenfalls ausgeschlossen.

Dieses Phänomen klingt glücklicherweise in der Regel nach kurzer Zeit wieder ab.
Nur wohl bei mir nicht. Neulich informierte mich mein Arzt über die Tatsache, dass meine Pupille vermutlich starr und ich ein dummglotzendes Reh (oder wahlweise auch ein einseitig scheinbar unter Drogeneinfluss stehender Tollpatsch) bleiben werde. So etwas passiert nicht oft. Aber es kann vorkommen. Selten. Und niemand weiss, wieso.
6 mal ne 6 in Folge. Damit wären wir bei einer Wahrscheinlichkeit von 0,002143%.

Es tut mir schrecklich leid, dass ich Dich heute mit all’ diesen Zahlen nerve. Seit ich diesen Statistik-Thriller gelesen habe, mache ich mir in Hinblick auf meinen geplanten Lottogewinn und die Aussichten auf eine Genesung eine Menge Gedanken über die mathematischen Grenzen des Zufalls.
In dem Buch stand im Übrigen ein hübsches Zitat (angeblich aus einem Statistikvortrag von David T. Caine):
"Now let's talk about another low-probability event: civilization getting wiped out by a giant asteroid colliding with the earth. Astrophysicists have calculated that the chance of this happening in any given year is approximately 1 million to 1.

Since our simian ancestors have roamed the planet for over 7 million years, the probability that an asteroid would have wiped us all out by now is roughly 700 percent. In other words, we should all be dead - not once, not twice, but seven times over.

However, as most of you already know, since the recorded history of mankind, humanity has never been annihilated.

So what's my point? Well, it's not that we're all going to be killed by an asteroid. Instead I want you understand something about low-probability events, and that is this:

Shit happens."

aus "Improbable" / (bzw. "Null") Adam Fawer
Ich habe in diesem Internetdingens von einer Frau gelesen, die nach einer Netzhautablösung (die fehlt mir im Übrigen noch in meiner Liste der unwahrscheinlichen Folgeprobleme) ebenfalls ein halbes Jahr an so einer Pupillenstarre litt. Bis sie in den Skiurlaub in die Alpen fuhr und von einer Sekunde auf die andere geheilt wurde. Rate mal, wo ich demnächst Urlaub mache...

Heute war ich dann mal wieder beim Herrn Doktor. Du wirst es nicht glauben, mein liebes Tagebuch, der Druck war wieder ganz schön doll hoch. Morgen geht's zurück in mein Zweitzuhause zu einem neuen Eingriff. Ist aber ein alter Hut: wir stochern lediglich ein wenig mit einer Nadel in meinem Sickerkissen, um es mal wieder ein wenig zu weiten und zum Arbeiten zu motivieren. Angeblich darf ich übermorgen schon wieder gehen.
Ich habe heute bereits allen auf der Station "Hallo" gesagt und ein hübsches Bett in Bestellung gegeben.
Die Gespräche mit dem Anästhesisten werden langsam ein wenig öde. Ich werfe ihm nur noch an den Kopf, auf was er achten muss und er trägt die Medikamentation vom letzten Mal ins Formular ein.
Da fällt mir gerade ein, dass ich Dir noch gar nicht erzählt habe, dass sich beim letzten Bluttest herausstellte, dass mein CHE Wert zu niedrig ist. Das hat was mit der Leber zu tun und ist wohl doof für die Benutzung bestimmter Muskelrelaxantien, da ich dann im schlimmsten Fall nicht mehr oder zu schnell (habe vergessen, was es war) aufwache. Der Anästhesist meinte noch, das mit dem niedrigen Wert wäre nicht schön und ich sollte mich mal von meinem Hausarzt durchschauen lassen. Daher habe ich dann zu Hause mal „CHE Wert“ gegoogelt und was steht da im ersten Link? (Der ist jetzt leider fort...)
Ein niedriger CHE Wert kann auf eine chronische Hepatitis, einen (Leber-)Tumor, eine Leberzirrhose, ein fulminantes Leberversagen oder eine Medikamentenvergiftung hinweisen.
Hahahaha. Das kann ja nun bei meinen Spitzenleberwerten, die mir eine Immunität gegen Alkohol und Fette bescheinigen, gar nicht sein und daher habe ich das Internet aus dem Fenster geworfen und mir eine Flasche Wein aufgemacht.

So. Jetzt muss ich von Dir scheiden und einen Schokoladenkuchen backen gehen. (Ich kann den Schwestern ja nicht bei jedem Aufenthalt Trinkgeld geben. Nun, wo ich den Sommerschlussverkauf in Paris hinter mich gebracht meine Sechswochenkrankheitsfrist überschritten habe, muss ich mit dem Geld ein wenig haushalten.)

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