Cassandras Kopfkino
Donnerstag, 17. Februar 2005
EIN GANZ NORMALER WAHNSINNSMORGEN
cassandra, Donnerstag, 17. Februar 2005, 21:09
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Der Wecker malträtiert meine Gehörgänge durch periodisch anschwellende Lautstärke. Ein 45 Grad Wälzer nach rechts mit mitgeschwungenem Arm schlägt ihn mundtod.

Erneute akustische Belästigung.

Dito. Erstmals schlage ich die Augen auf und betrachtet den Störenfried. Ich kann jedoch den Grund für den Lärm nicht erkennen. Extreme Kurzsichtigkeit. Ich taste nach dem grauen Plastikmonster und halte ihn mir vor die Nase. Die Zahlen ergeben keinerlei Sinn. Daher stelle ich den Wecker zurück an seinen Platz, drehe mich um und kuschel mich wieder in die Kissen.

Die wiedereinsetzenden Beeper rütteln in einem weit entfernten Winkel meines Hirns an einer Erinnerung, an die ich mich beim besten Wissen nicht erinnern kann. Langsam breitet sich eine Erkenntnis in meinem Kopfe aus. Ich wollte heute früh aufstehen, weil ich nach München fliegen muss. Der Flieger geht jedoch erst um 09:55 Uhr. Diese unglaublich lange Zeitspanne zwischen jetzt und später bereitet mir Kopfzerbrechen. Plötzlich erinnere ich mich, dass ich meiner Mutter versprochen hatte, mir Blut abnehmen zu lassen, um meine wochenendliche körperliche Ausfallerscheinung auf Virenkausalität überprüfen zu lassen. Um 07:30 Uhr wollte ich beim Arzt sein. Ich beschliesse, die Viren am Leben und mich im Bett zu belassen.

DerWecker appelliert erneut an meine Pflichten und mein schlechtes Gewissen holt mir die Erzählungen über die neusten Grippeepidemien, deren Auswirkungen mir in den letzten Tagen so mannigfaltig beschrieben wurden, ins Gedächnis.

Nun gut. Ich habe ein Versprechen gegeben und inzwischen sind meine Lebensgeister zu einen guten Drittel erwacht, also kann ich auch genausogut aufstehen und mir ein wenig Blut abzapfen lassen.

Koffer packen, Geschirr abwaschen und Katzenklo säubern, habe ich zeitlich ein wenig unterschätzt und so wird die Machbarkeit des Artzttermines von Minute zu Minute unwahrscheinlicher.

Mein Arzt beschäftigt tatsächlich eine Dame, deren einzige Aufgabe es zu sein scheint, Ihre Patienten um ihr Blut zu erleichtern. Sie macht dies auch sehr gut, sprich vollkommen schmerzfrei und plaudert dabei munter. Sie erleichtert meinen ermatteten Körper um drei Ampullen.

Pünktlich treffe ich am Flughafen ein. Vor dem DBA Schalter stehen vier lange Schlangen. Also reihe ich mich nach kurzer Feldstudie in die meines Erachtens schnellste Schlange ein, die ein offensichtlich homosexuell orientierter DBA Angestellter mit lustiger Riesenfönfrisur abfertigt. Plötzlich dringen die ersten Gerüchte über etwaige Verspätungen an meine Ohren. Fröhlich bestätigt mir die Sturmwelle hinter dem Schalter, dass sich die Abflugzeit verzögert. Auf meine Frage, wie lange dies wohl dauern könnte, weiss er keine Antwort, lächelt jedoch aufmunternd und meint, dass es noch ein ganz schönes Weilchen sein könnte.

Ich habe alle Geschäfte durchbummelt und da mir nicht mehr einfällt, womit ich mir die Zeit vertreiben soll, beschliesse ich, mich schon einmal in den Sicherheitsbereich zu begeben. Erfahrungsgemäss dauert dies bei mir immer ein wenig länger. Meine Handtasche stellt für die meisten Sicherheitsbeamten ein erhöhtes Risiko dar. Sie ist mit so vielen Dingen vollgestopft, dass ein einziger Röngtendurchgang in der Regel nicht ausreicht, ihre Fülle zu erfassen. Erst neulich musste ich diverse Male einzelne Dinge entnehmen, um sie aufs neue durch den Apparat zu schicken. Der verantwortliche Beamte war auch nach dem dritten Durchgang unzufrieden, weil er die vermeintliche Handgranate nicht finden konnte. Da stand ich nun und beinahe der gesamte Inhalt der Tasche war um mich herum verstreut. Er wurde ungeduldig und wollte selbst einen Blick in die fast leere Tasche werfen. Dies wiederum war mir äusserst unliebsam. Aus Gründen, derer ich mich zur Zeit mehr schlecht als recht entsinne, befand sich meine getragene Unterwäsche vom Vortag in der Tasche. Die wollte ich ungern durch die Öffentlichkeit auf einem Laufband fahren sehen. Für mein Genieren hatte der Herr jedoch wenig Verständnis und versuchte immer wieder, in die Tasche zu greifen. Erst ein beherztes Anzicken von meiner Seite, er möge doch bitte die Hände aus meiner Unterwäsche nehmen, führte zum Erfolg und er liess mich ziehen. Meine Befürchtungen erwiesen sich auch diesmal als berechtigt. Beim Passieren des Metalldetektoren schrillen die Alarmglocken. Die Körperabtasterin geht ihrer Bestimmung nach und bittet mich anschließend, meine Stiefel auszuziehen. Ich frage, ob dies ihr Ernst ist, worauf sie pampig erwiedert „sonst würde ich es ja nicht gesagt haben.“
Mühsam versuche ich, die engen hochhackigen schwarzen Stiefel, in die am Morgen ebenso mühevoll meine Beine gezwängt habe, nun von selbigen zu befreien. Nun muss man dazu sagen, dass ich bei den zur Zeit herrschenden winterlichen Temperaturen meine Füße keiner dünnen Nylonschicht einer Strumpfhose allein anvertraue. Über die Strumpfhose kommen noch ein paar dicke Socken, was nicht unbedingt ein schönes Bild ist, in der Regel aber niemanden stört, weil der Anblick dem Innenfutter der Stiefel vorbehalten bleibt. Ich stehe also bei Sicherheitsscheck, umringt von einigen gelangweilt zuschauenden Beamten, während die Schlange der Fluggäste auf der anderen Seite immer länger wird, in Röckchen, Feinstrümpfen und hüpfe mit dem linken Fuß, der in einer grünen total vergammelten nicht mehr ganz neuen Wollsocke steckt, während der andere Fuß in der Luft schwingt und ich versuche, ihn mit Gewalt vom zweiten Stiefel zu befreien. Endlich gibt das Leder nach und der Fuß rutscht heraus. In der grünen Socke, prangt ein großes Loch am großen Zeh. Mit hochroten Kopf ziehe ich die Socken ebenfalls aus und versuche, sie in den Händen zu verbergen. Ich werde jedoch gezwungen, Stiefel und Socken durch den Röngtenapparat zu schicken. Einer der Beamten verzieht verächtlich das Gesicht, als Stiefel und Socken auf der anderen Seite über das Rollband an ihm vorbeifahren.
Immer noch peinlich berührt ziehe ich Socken und Stiefel so schnell wie möglich an und will meine zwei Taschen greifen. Mir wird jedoch erneut Einhalt geboten, weil das Röngtenbild das eine oder andere nicht-definierbare Objekt anzeigt. Wir packen also alle Tascheninhalte aus, ich gebe einige Informationen über Verwendungszweck einiger Gegenstände zum besten, dieTaschen wiederholen ihre Durchleuchtung und dann darf ich des Weges ziehen.

Ich beschließe, mich in die Nähe meines Gates zu begeben und dort der Dinge zu harren, die folgen mögen. Ein Blick auf meine Boardingkarte lässt mich jedoch über die Identität des Gates im unklaren. Ich pilgere zum nächsten Monitor. Alle Flüge aller Fluggesellschaften zeigen Verspätungen von mindestens zwei Stunden an. Endlich finde ich meinen Flug: DBA 09:55 Düsseldorf – München CANCELED. Oha. Prinzipiell möchte ich mir an dem heutigen Tag nicht die gute Laune verderben lassen. Nervös macht mich jedoch die Tatsache, dass ich meinen Koffer eingescheckt habe. In eine fiktive Maschine, die es gar nicht gibt. Da ich weit und breit keinen einzigen Fluggesellschaftsangehörigen ausmachen kann, laufe ich zurück zur Abflughalle.
Vor dem Tresen der DBA steht eine Schlange von ungefähr einhundertfünfzig Menschen.
Ich wende mich an die männerliebende Sturmfrisur am Check In und fordere die Herausgabe meines Koffers. Der Gute weiss jedoch nichts über den Verbleib des Gepäckstückes und verweist mich auf ein Grüppchen Mitreisender, die unschlüssig neben dem Check In stehen und offensichtlich ebenfalls auf der Suche nach ihren verschollenen Habseligkeiten sind. Ich soll mich dazu stellen und auf weitere Anweisungen warten.
In langweiligen spannungsgeladenen Momenten wie diesen machen sich normalerweise meine niederen Bedürfnisse bemerkbar. Deren Befriedigung stellt auf Flughäfen jedoch meist eine nicht ganz einfach zu lösende Aufgabenstellung dar. Ich entferne mich daher unerlaubt von meiner Koffergruppe und peile die nächste Raucherecke an. Wenn ich von meinem neuen Standpunkt aus hoch genug hüpfe, kann ich von Zeit zu Zeit einen Blick über die Menschenmassen auf meine Koffergruppe werfen und mich über ihren Verbleib auf dem laufenden halten. Tückischerweise werde ich durch ein Telefonat abgelenkt und als ich bei meinem nächsten Kontrollhüpfer einen Blick riskiere, ist die Koffergruppe verschwunden. Panik steigt in mir auf. Gehetzt blicke ich mich um und entdeckte sie 100 Meter entfernt einen Fahrstuhl ansteuern. Die eine Tasche über die Schulter geworfen, die Jacke unter den Arm geklemmt, andere Tasche in der einen Hand, Red Bull Dose (nur um möglichen Schwächeanfällen auf Grund des Blutverlustes vorzubeugen) in der anderen und Handy unters Kinn geklemmt renne ich meiner Koffergruppe hinterher und spinge im letzten Moment durch die sich schließenden Fahrstuhltüren.
Die Gruppe folgt dem uniformierten Koffergruppenleiter durch verschlungene Gänge bis hin zu einem unbesetzten Gepäckermittlungsstand. Hier warten bereits andere Koffergruppen auf uns. Der Stand dient jedoch lediglich der Tarnung und ist wohl eher als eine Art Sammelstelle für Koffersuchende gedacht. Nach einer Weile setzt der Koffergruppenleiter, gefolgt von einer einzigen, inzwischen 20 Mann starken Koffergruppe, seine Sightseeingtour durch den Düsseldorfer Flughafen fort. Wir passieren geheime Türen und besichtigen auf unseren Weg sämtliche Gepäckbänder aller Terminals des Flughafen. Beim letzten Terminal, auf Gepäckband 17 finden wir dann unsere kleinen, unversehrten Lieblinge. Die Koffergruppenmitglieder fallen sich in die Arme, die eine oder andere Träne kullert heimlich aus einigen Augenwinkeln. Die Wiedersehensfreude ist groß. Schüchtern winkt man dem einen oder anderen Mitreisenden zu, mit dem sich in der letzten halben Stunde zarte Bande einer beginnenden Freundschaft entwickelt haben und wünscht sich eine gute Reise und viel Glück.

Glücklich meinen Koffer hinter mir herziehend laufe ich zur Lufthansa. Ich habe telefonisch den 10:20 Uhr Flieger nach München gebucht. Unmöglich zu schaffen? Nicht in Düsseldorf, denn hier ticken die Uhren anders. Da die Lufthansa Maschine von 08:55 Uhr ebenfalls noch nicht abgehoben ist, wird mein Flug sicherlich noch ein wenig auf sich warten lassen. Ich beknie kurz die Lufthansaangestellte, meinen Koffer als Handgepäck an Board nehmen zu dürfen, weil ich ihn ungern erneut verlustig gehen sehe. Sie lässt sich angesichts der zwei weiteren Taschen jedoch nicht erweichen. Diesmal kann ich unbehindert den Sicherheitsscheck passieren. Obwohl es sich um einen anderen Terminal handelt, hat sich der Inhalt meiner Taschen und Stiefel und meine erwiesene Unschuld scheinbar bis hier herumgesprochen.

Endlich hebt der Flieger ab.

Ich bin in München gelandet. Eine weibliche Stimme ertönt durch die Lautsprecheranlage des Flughafen: „Auf Grund der Wetterbedingungen werden in absehbarerer Zeit keine Flüge geboardet, die nicht Longdistance Flüge sind. Wir empfehlen Ihnen, sich ein Hotelzimmer in München zu nehmen.“ Es ist schon erstaunlich, dass der Münchner Flughafen einmal wöchentlich von der Tatsache überrascht wird, dass Winter ist. (und das selbiger auch noch jedes Jahr ungefähr zur gleichen Zeit wiederkehrt.)
Nun gut. Jetzt bin ich erst einmal hier. Im Frühjahr, wenn die Schneeschmelze einsetzt, darf ich hoffentlich wieder nach Hause zurückkehren.

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