Cassandras Kopfkino
Mittwoch, 16. März 2005
VON DER KÜHLTASCHE, DEM ZOLLBEAMTEN UND DER KELLNERIN
- EIN MERKWÜRDIGER TAG IN DER SCHWEIZ -
cassandra, Mittwoch, 16. März 2005, 01:37
Filed under: Alltag
Von Zeit zu Zeit versuche ich, meine leicht spröde Erscheinung durch ein wenig Hippness aufzupeppen. Momentaner Spleen ist eine knallige Kühlbox aus den 70er Jahren zum Transport meiner Arbeitsmittel auf beruflichen Kurztrips. Zu erwähnen ist natürlich ebenfalls der pragmatische Zweitvorteil: durch raffiniertes Stapeln fasst der Bauch der Box exakt einen Ordner, einen Laptop, zwei Videobänder, Reiseliteratur und – für den fortgeschrittenen Packprofi – auch noch zwei Stangen zollfreier Zigaretten. Beim Erwerb selbiger am heutigen Morgen überhörte ich großzügig die Warnung, dass lediglich die Einfuhr einer Stange in die Schweiz erlaubt sei.
Ich hatte noch nie Probleme mit dem Zoll. Ich wurde noch nie kritisch beäugt oder gar herausgewunken. Nun gut. Bis auf einmal. Als ich vor ein paar Wochen drei Koffer Klamotten und Kameraequipment für einen Dreh nach Brasilien schmuggelte. Ich vermute, dass eine alleinreisende Frau, die einen einwöchigen Aufenthalt geplant hat und mit aller Kraft versucht, den Gepäckwagen, der unter dem Gewicht von 5 Koffern ächzt, am Umfallen zu hindern, ein Minimum an Aufmerksamkeit erregt. Folgender Dialog entspann sich daraufhin zwischen dem Zollbeamten und einer debil grinsenden jungen Frau:

Zollbeamter (auf das fußballgroße Metallding zeigend, dass vor ihm liegt): What is that?

Junge Frau (unschuldig guckend in gebrochenem, sehr schlechten Englisch): A stabilizing thing.

Zollbeamter (schaut komisch und fragt, ebenfalls in sehr schlechtem Englisch): What its for?

Junge Frau (verzerrt ängstlich das Gesicht): Äh... I don’t really know. (Hilf- und verständnislos mit den Schultern zuckend)

Zollbeamter (holt Kollegen hinzu, der gut Englisch spricht): What is this and what is it for?

Junge Frau (angesichts der Verstärkung total verwirrt): It is a stabilizing thing. And it stabilizes stuff.

Zollbeamter 2: How does it work?

Junge Frau (aus vollster Überzeugung und ehrlich): I have no idea.

Zollbeamter 2: What are you planning to do with it? Do you want to sell it?

Junge Frau (beschwichtigend): No, no. It's from Germany. I am bringing it to a friend. He asked me to. He needs it for work. (und ich bin sowas von dämlich, dass ich ihm den Gefallen auch noch tu’.)

Zollbeamter 2: And what do you have in the other suitcases?

Junge Frau (peinlich berührt lächelnd): My personal belongings. Clothes, shoes, purses, ...

Zollbeamter 2: Well. Thank you very much. Have a nice stay in Sao Paulo.

Erstaunlich, dass ich damit durchgekommen bin. Ich hatte natürlich auch Papiere für das Dingens. Man hatte mich jedoch vor der brasilianischen Bürokratie gewarnt, die viel Zeit und Geld in Anspruch nimmt. Prozesse, denen man sich nach einem sehr langen Flug nicht gewachsen fühlt.

Ich bin abgeschweift. Diese kleine Anekdote sollte auch nur verdeutlichen, dass ich noch nie wirklich zollauffällig geworden bin.
Am heutigen Morgen wurde ich jedoch erstaunlicherweise am Züricher Flughafen vom Zollbeamten herausgewunken. Die mitgeführte Kühlbox ließ wohl meine Mitgliedschaft in einem berüchtigten Organschmugglerring vermuten. Mit klopfenden Herzen und (vermutlich) knallrotem Kopf öffnete ich mein tragbares Büro. Vorwitzig reckte sich eine Stange französischer Zigaretten ins Blickfeld. Die andere versteckte sich glücklicherweise unter dem Laptop und war auf den ersten Blick nicht zu erspähen. Nachdem sich der Herr vom Zoll davon überzeugt hatte, dass ich kein tiefgefrorenes Herz mit mir herumtrug, ersparte er mir das Auspacken der Box und ich konnte erleichtert, in letzter Mínute noch einmal meinen Fuß aus der Tür in den Knast gezogen zu haben, von dannen ziehen.
Mein Termin in Zürich, mit dessen Ende ich gen Abend gerechnet hatte, zog sich erstaunlicherweise nur drei Stunden hin. Es war 16:00 Uhr und mein Flug zurück ging um 21:30 Uhr. Auf Grund von Müdigkeit gepaart mit Faulheit hatte ich keine Lust, meine Kühltasche auf der Suche nach Belustigungen durch die Stadt zu schleppen und setzte mich zum Lesen in ein Restaurant. Einige durch die Lektüre gewonnene, erstaunliche Einsichten, einen Wurstsalat, einen Teller Geschnetzeltes, zwei Cola, einen Latte und eine Tasse heissen Kakao später, waren drei Stunden vergangen, ich beschloß, zum Flughafen aufzubrechen und bat die Kellnerin um die Rechnung und ein Taxi. Die junge Frau schaute mich entsetzt an und meinte dann, dass ein Taxi zum Flughafen viel zu teuer ist und ich lieber den Zug nehmen solle. Da ich nicht großspurig wirken wollte, verwies ich sie auf meine mangelnden Ortskenntnisse und Währungsbesitzverhältnisse. Sie liess sich jedoch nicht davon abhalten, mir 5 Euro in Schweizer Münzen zu wechseln und erklärte, dass sie gleich Feierabend hätte und mich zum Bahnhof mitnehmen würde. Zu diesem Zeitpunkt glaubte ich noch, eine Straßenbahnfahrt mit meiner Kellnerin vor mir zu haben, doch weit gefehlt. Sie zog mich durch die Küche nach draussen, wo ihr Ehemann auf sie wartete. Die beiden waren wirklich nett, doch ich fühlte mich ein wenig unwohl, da ich angesichts ihrer resoluten Forderung, mich per Zug zum Flughafen zu bewegen, weder traute Einspruch zu erheben, noch, darauf hinzuweisen, dass ich ein Taxi nicht selber bezahlen müsste.
Kaum hatte ich im Auto sitzend kurz mit dem Gedanken gespielt, vom Bahnhof aus ein Taxi zu nehmen, wurden meine Pläne erneut durchkreuzt. Dort angekommen, begab sich meine Kellnerin gemeinsam mit mir zum Fahrscheinautomaten und wählte das passende Ticket für mich aus. Ich konnte sie nur mit Mühe davon abhalten, ihr Portemonnaie zu zücken, als mir die Münzen ausgingen und meine Kühlbox aus der Hand zu reissen, um mir beim Tragen zu helfen. Sie suchte das richtige Gleis heraus und begleitete mich bis zum Bahnsteig, wo sie sich kurz aber herzlich verabschiedete und davoneilte. Vollkommen verwirrt ließ sie mich zurück. Zum einen begann ich mir ernsthafte Sorgen über das Bild einer vollkommen überlebensunfähigen Person, dass ich scheinbar meinen Mitmenschen vermittle, zu machen, zum anderen neigt man ja dazu, die Motivationen von Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft fremder Menschen zu hinterfragen. Ich hatte allerdings nicht den Eindruck, dass meine Kellnerin es auf ein Trinkgeld oder gar auf eine Verführung zu Unschicklichkeiten mit ihr / ihrem Mann / ihnen beiden abgesehen hatte.

Ein seltsamer Tag. Aber auf sehr angenehme Art.


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