Cassandras Kopfkino
Sonntag, 8. Juli 2007


TAG 1: CHECK IN
cassandra, Sonntag, 8. Juli 2007, 16:07
Filed under: Ich beiss' in die Tischplatte
Morgen wird ein hoffentlich ausgeschlafener und froh gestimmter Arzt ein Loch in mein Auge meisseln.
Präziser ausgedrückt wird die Netzhaut aufgeschnitten und zurückgeklappt, mit der Lederhaut wird ebenso verfahren, ein winziger Teil der Iris wird entfernt und über dieses so entstandene Loch wird die Lederhaut leicht angenäht, so dass ein kleiner Hohlraum, ein so genanntes Sickerkissen, entsteht, in dem sich das Kammerwasser sammeln und abfliessen kann. Auf diese Weise wird der Augeninnendruck reduziert und das bei mir diagnostizierte Glaukom in den Griff bekommen. Klingt nach einer spaßigen Angelegenheit, von der ich dank einer Vollnarkose jedoch den Hauptteil verpassen werde. In ein paar Wochen darf ich das selbe allerdings noch einmal am anderen Auge durchexerzieren.

Punkt 9 Uhr checke ich an der Rezeption ein und gerate in einen schwindelerregend rasanten Circuit prä-stationärer Vorbereitungsmassnahmen.
Um 11 Uhr sitze ich immer noch im Wartezimmer meiner 1. Anlaufstation, deren Aufsuchung man mir mit Hilfe einer Art Laufzettel durch die verschiedenen Abteilungen angeordnet hat. Augenärztliche Kontrolle, Blutentnahme, Aufklärungsgespräch mit dem Anästhesisten, Aufnahmegespräch mit der Stationsschwester, Speiseplan ausfüllen. Ich bin ein Mensch, der ungern wartet und um so lieber ausschläft und daher entsprechend übellaunig. Zwischen Station 2 und 3 entferne ich mich erstmals unerlaubt aus dem Krankenhaus, um ein wenig zu telefonieren und bei 2 bis 3 Zigaretten abzureagieren.
Das Gespräch mit dem Herrn Anästhesisten verläuft sehr einseitig. Der Herr Doktor notiert sich auf Grund meiner Größe und meines Gewichtes Mengenangaben zum Narkotikum, das er gedenkt, mir zu verabreichen. Die eigentliche Kommunikation scheint auf rein mentaler Ebene abzulaufen, zu der ich offenbar jedoch keinen Zugang finde. Bevor es mir überhaupt gelingt, meine Gedanken zu telepathischen Informationsblitzen zu bündeln, ist er bereits bei der Verabschiedung angelangt. „Äh. Was für eine Art Narkose schwebt Ihnen denn vor?“, frage ich vorsichtig. „Nun. Wir werden Sie wohl kaum hypnotisieren.“ Ich kann gar nicht ausdrücken, wie sehr mich diese Antwort beruhigt. Stattdessen sage ich: „Ich frage ja nur... Ich habe sehr schlechte Erfahrungen mit Vollnarkosen gemacht. Insbesondere bei einer Spinalanästhesie.“ Er schaut mich streng an: „Wieso?“
„Habe ich alles in den Fragebogen rein geschrieben. Tinnitusähnliche Syptome, Kreislaufschwäche, Übelkeit und ein paar Stromschläge, die durch den Körper fuhren.“
Erst jetzt bemerkt er, dass das 6 seitige, liebevoll von mir ausgefüllte Formular vor ihm, noch mehr Informationen enthält, als meine Angaben zu Größe und Gewicht. Da ich mir gerade einen kleinen Vorsprung erkämpft habe, wage ich eine erneute Frage: „Meinen Sie nicht, ich sollte vor einer Vollnarkose auch ein EKG machen? Die Station ist auf meinem Laufzettel durchgestrichen. Ich habe jedoch Herzrhythmusstörungen.“
„Wie, sie haben Herzrhythmusstörungen?“
„Habe ich auch da rein geschrieben.“

Ich weiss. Manchmal bin ein richtig kleiner Klugscheisser.
Bei der EKG Station sitzen bereits wieder 5 Leute vor mir. Ich gehe noch einmal rauchen, sorge jedoch dafür, dass die Dame, die vor mir gekommen ist, meinen Platz in der Schlange freihält.
Gegen 15 Uhr darf ich endlich mein Zimmer beziehen. Seit Wochen freue ich mich darauf, viele Stunden damit zu verbringen, nichts zu tun und sehr viel zu schlafen. In den nächsten 1,5 Wochen werde ich hoffentlich reichlich Gelegenheit dafür bekommen. Nach einem halbstünigem Nickerchen werde ich zu meinem Chefarzt zu einer letzten Untersuchung gerufen.
Er schaut sich ausführlichst in meinen Augen um, misst den Augeninnendruck und als er fertig ist, lehnt er sich in seinem Stuhl zurück, schaut mich an und seufzt. Ich warte. Er seufzt noch einmal und schaut mich weiter an. Ich fühle mich wie bei einer dieser Aussprachen, die das Ende von Beziehungen einläuten. Mein Gefühl sagt mir, dass ich das Thema nicht anschneiden sollte, es wirklich nicht wissen möchte, aber ich komme nicht umhin zu fragen: “Und? Was geht Ihnen gerade durch den Kopf?“ Er seufzt noch einmal. „Ich möchte Sie nicht operieren.“ Ich wusste es. Aus Schutz vor Abweisung sollte man einen Mann niemals fragen, was er denkt.
Er erklärt mir, dass eine Operation unumgänglich wäre, (es sei denn, ich würde mich mit dem Gedanken anfreunden, in Zukunft blind durchs Leben zu stöckeln), er sie aber nicht durchführen möchte, weil ich zu jung bin. Mein jugendlich-dynamischer Körper würde das absichtlich beigebrachte Loch im Auge als Wunde interpretieren und sich in Bälde selbst heilen, was die Operation vollkommen überflüssig machen würde. Er bietet mir an, das ganze erst einmal aufzuschieben und in einer anderen Klinik anzurufen, die ein ganz neues, ganz modernes Operationsverfahren böte. Sein Angebot klingt, als würde er mir die Entscheidung überlassen, doch als ich ihm sage, dass ich (a) viel zu konservativ für „ganz neue, ganz moderne“ Verfahren sei, (b) in 2 Wochen keine Zeit mehr hätte, weil man mich im Job brauchen würde (bzw. zu diesem Zeitpunkt die Werbefilmfestspiele in Cannes stattfinden und ich mir einen von der Firma finanzierten Kurzurlaub ungern durch die Lappen gehen lassen möchte) und ich (c) definitiv morgen operiert werden möchte, weil ich alles in meinem Leben um diesen Termin herum organisiert hätte, schmeisst er mich trotzdem raus, nicht ohne mir vorher zu versprechen, mich alsbald anzurufen, um mir mitzuteilen, wann und wo ich denn nun operiert werde.
Ich bin es leid, all jenen, denen ich ausführlichst erklärt habe, warum ich in den nächsten 2 Wochen nicht zur Verfügung stehe, nun wieder erläutern zu müssen, warum ich schon wieder zurück bin, werde jedoch wohl nicht darum herum kommen.

Fortsetzung folgt bereits morgen:
NOCHMAL TAG 1: 2 WOCHEN SPÄTER

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