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TAG 9-21: ALLES SCHEISSE
cassandra, Mittwoch, 18. Juli 2007, 01:33
Filed under: Ich beiss' in die Tischplatte
9. Tag: Mittwoch. Alles super. Ich darf nach Hause. Meine Vorderkammer ist sehr hübsch und stabil, der Druck perfekt, mein Sicherkissen sieht aus wie aus dem Lehrbuch.
Zwei Tage später, am Freitag, muss ich morgens um 7 Uhr zur Visite erscheinen, um nochmals den Druck zu überprüfen. Eine Stunde später liege ich im OP. Der Druck ist wieder rasant angestiegen. Mein Körper heilt besser als erwartet und das Sicherkissen vernarbt zu gut. Im Grunde genommen ist das Loch in meinem Auge wie eine Schürfwunde an der Hand, die nicht verschorfen darf. Tut sie aber und zwar sehr schnell und gründlich.
Der Doktor möchte den Schorf entfernen. Klingt nicht nach einer effektiven Methode mit Langzeitwirkung. Er will mit einem Skalpell unter die Bindehaut und ein wenig in dem Loch rumbohren. Selbstredend ohne Narkose. Ich versuche, mich mit Hilfe von Yogatechniken zu beruhigen. Das klappt nur leidlich. Nach dem Eingriff bekomme ich einen kleinen Nervenzusammenbruch. Liege zitternd auf meiner Liege und kann nicht aufhören zu heulen.
Der Arzt geht heute für die nächsten 2 Wochen in den Urlaub. Seine Kollegin soll am Wochenende den Druck erneut überprüfen. Am Samstag liege ich bei 36. Meinem Auge geht es schlechter als vor den ganzen Eingriffen. Ich muss am Montag wieder ins Krankenhaus einziehen und soll erneut operiert werden. Ich bekomme eine Vollnarkose. Es wird der 6. Eingriff. Meine neue Ärztin will auch noch mal in dem Loch rumbohren und dafür die angenähte Netzhaut an einer Ecke ablösen. Ich muss danach noch eine Woche hier bleiben.
Ich bemühe mich, unbeschwert zu sein. Scherze mit Schwestern und Pflegern, lasse mich von meinen Besuchern zu Starbucks entführen und versuche, meinen Optimismus nicht zu verlieren. Das ist nicht einfach. Ich lebe in einem Altersheim. Ich bin umgeben von Menschen jenseits der 70. Hole Getränke, schmiere Brote, helfe bei dem Gang zur Toilette. Die Tochter einer 85jährigen Patientin verdonnert mich ungefragt dazu, mich um ihre Mutter zu kümmern, ihr zu helfen und sie zu trösten. Ich will das nicht. Ich will nicht, dass man mir immer wieder die selben persönlichen Geschichten aus der Nachkriegszeit oder von alten Krankheiten erzählt oder dass ich Menschen bedauern und in den Arm nehmen muss, denen es schlecht geht und die mir täglich androhen, dass sie sich umbringen wollen, wenn sie noch einmal operiert werden müssen. Ich will egoistisch sein. Mich nicht in das Leid fremder Menschen reinziehen lassen, sondern mich in meinem eigenen Selbstmitleid suhlen.
Ich fiebre den täglichen Besuchen des Liebsten entgegen, der mich mit Essen, Kaffee und Liebe versorgt. Zwischendurch schaue ich mir sämtliche Staffeln von Grey’s Anatomy an. Hirntumore, Operationen am offenen Herzen, Tote und Liebeskummer entspannen mich tatsächlich und führen mir vor Augen, wie unkomplziert mein Leben doch ist.
Am Freitag, Tag 18 seitdem das alles anfing, probieren wir mal was neues. Inzwischen bin ich wohl in den Genuss sämtlicher medizinischen Vorrichtungen und Methoden gekommen, die dieses Krankenhaus zu bieten hat.
Heute lasern wir ein wenig. Zirka 15 Schüsse werden auf mein Auge abgefeuert. Grüne Blitze sollen den einzig darstellbaren (von 4 vorhandenen) Faden trennen, um mein Sickerkissen anzuheben. Am zu hohen Druck ändert sich trotzdem nichts. Ob der Faden nun weg ist oder nicht, kann auch niemand sagen, weil eine meiner Häute im Auge wohl ungewöhnlich dick ist.
Samstag darf ich mir ein paar Stunden Urlaub nehmen. Gegen Unterschrift, dass ich gegen den Willen der Ärzte, auf eigene Gefahr und ohne Absicht, das Krankenhaus zu verklagen, bekomme ich bis Mitternacht Ausgang, um die Hochzeit einer Freundin aufzusuchen.
Mehrere Stunden verbringe ich mit meinem Styling. Frisiere die Haare so, dass sie über die komplette rechte Gesichtshälfte fallen und man weder Auge noch Allergieausschlag sehen kann. Trage eine Kontaktlinse im linken Auge und verzichte auf den Gebrauch des rechten dessen Sehvermögen selbst mit Hilfe von Sehhilfen auf 30% geschrumpft ist.
Trotz Zugabe alkoholischer Muntermacher geht es mir bescheiden während der festlichen Aktivitäten. Mein Schädel brummt und ich muss mich immer wieder setzen, um nicht aus den hohen Schuhen zu kippen. Mein Blutdruck ist seit einer Woche konstant bei 90 zu 60, was wohl dem Kreislauf nicht allzu zuträglich ist. Die Hitze tut ihr übriges und ganz im Stile von Aschenputtel ziehe ich mich punkt Mitternacht von der Party zurück.
Den Brautstrauss habe ich im übrigen auch nicht gefangen. Wie auch, halbblind im dunklen. Der Liebste bemängelte jedoch meine Initiative, die auf unserer Seite im Vergleich zur anderen sehr zu wünschen ürbig liess.
Am Montag (gestern) habe ich mich selbst entlassen.
Man weiss nicht weiter. Man könnte erneut die Netzhaut lösen und im Loch herumstochern, den Schorf zur Seite schieben. Man könnte darüber nachdenken, die gesamte Prozedur zu wiederholen und an einer neuen Stelle ein neues Loch zu bohren. Keiner kann mir garantieren, dass wenige Millimeter neben dem alten Loch meine Vernarbungstendenz auf wundersame Weise weniger stark ist. Ich habe auch keine Lust, mir einmal wöchentlich in meinem Sickerkissen herumstochern zu lassen. Man könnte auch das gesamte Sickerkissen lösen und lockerer wieder annähen.
Ich will nach Hause.
Ich schlage selbiges der Ärztin vor. Sage ihr, dass ich gerne am nächsten Montag wiederkomme, wenn mein Arzt, der mich von Anfang an nicht operieren wollte, weil er vermutlich mit genau diesen ganzen Problemen rechnete, wieder aus dem Urlaub zurück ist. Inzwischen ist er der einzige, dem ich vertraue. Er wollte mich damals bereits an ein anderes Krankenhaus verweisen, dass neuere, experimentellere Operationsmethoden anwendet. Genau darüber möchte ich am Montag mit ihm reden. Ich möchte einen Shunt. Eine kleine Röhre, die ins Auge eingesetzt wird und den Kammerwasserabfluss reguliert. Die kann dann wenigstens nicht zuwachsen. Angeblich ist diese Methode noch nicht so weit ausgereift. Verstehe ich nicht ganz, da die ersten Shunt Implantationen in den USA bereits Anfang der 70er durchgeführt wurden.
Ein gutes hat dieser ganze Mist derzeit. Wenn ich mal wieder bei einem trostlosen Abendessen mit Kunden sitze und die Gesprächsthemen drohen auszugehen, kann ich vielleicht ein keckes "Wollt ihr mal mein Sickerkissen sehen? Eine Röhre im Auge hätte ich auch noch anzubieten." in die Runde werfen.
In welche Stadt mich diese Operation demnächst verschlagen wird, weiss ich noch nicht. Hier war es letzten Endes ganz schön, weil mich Freunde, Mitarbeiter und diverse Blogger besuchen konnten und mich ein wenig abgelenkt haben. (Dafür danke ich Euch von Herzen.) Ich hoffe, dass sich in einer anderen Stadt auch jemand erbarmt. Einige, sehr liebe Angebote habe ich ja bereits ;-)
Zwei Tage später, am Freitag, muss ich morgens um 7 Uhr zur Visite erscheinen, um nochmals den Druck zu überprüfen. Eine Stunde später liege ich im OP. Der Druck ist wieder rasant angestiegen. Mein Körper heilt besser als erwartet und das Sicherkissen vernarbt zu gut. Im Grunde genommen ist das Loch in meinem Auge wie eine Schürfwunde an der Hand, die nicht verschorfen darf. Tut sie aber und zwar sehr schnell und gründlich.
Der Doktor möchte den Schorf entfernen. Klingt nicht nach einer effektiven Methode mit Langzeitwirkung. Er will mit einem Skalpell unter die Bindehaut und ein wenig in dem Loch rumbohren. Selbstredend ohne Narkose. Ich versuche, mich mit Hilfe von Yogatechniken zu beruhigen. Das klappt nur leidlich. Nach dem Eingriff bekomme ich einen kleinen Nervenzusammenbruch. Liege zitternd auf meiner Liege und kann nicht aufhören zu heulen.
Der Arzt geht heute für die nächsten 2 Wochen in den Urlaub. Seine Kollegin soll am Wochenende den Druck erneut überprüfen. Am Samstag liege ich bei 36. Meinem Auge geht es schlechter als vor den ganzen Eingriffen. Ich muss am Montag wieder ins Krankenhaus einziehen und soll erneut operiert werden. Ich bekomme eine Vollnarkose. Es wird der 6. Eingriff. Meine neue Ärztin will auch noch mal in dem Loch rumbohren und dafür die angenähte Netzhaut an einer Ecke ablösen. Ich muss danach noch eine Woche hier bleiben.
Ich bemühe mich, unbeschwert zu sein. Scherze mit Schwestern und Pflegern, lasse mich von meinen Besuchern zu Starbucks entführen und versuche, meinen Optimismus nicht zu verlieren. Das ist nicht einfach. Ich lebe in einem Altersheim. Ich bin umgeben von Menschen jenseits der 70. Hole Getränke, schmiere Brote, helfe bei dem Gang zur Toilette. Die Tochter einer 85jährigen Patientin verdonnert mich ungefragt dazu, mich um ihre Mutter zu kümmern, ihr zu helfen und sie zu trösten. Ich will das nicht. Ich will nicht, dass man mir immer wieder die selben persönlichen Geschichten aus der Nachkriegszeit oder von alten Krankheiten erzählt oder dass ich Menschen bedauern und in den Arm nehmen muss, denen es schlecht geht und die mir täglich androhen, dass sie sich umbringen wollen, wenn sie noch einmal operiert werden müssen. Ich will egoistisch sein. Mich nicht in das Leid fremder Menschen reinziehen lassen, sondern mich in meinem eigenen Selbstmitleid suhlen.
Ich fiebre den täglichen Besuchen des Liebsten entgegen, der mich mit Essen, Kaffee und Liebe versorgt. Zwischendurch schaue ich mir sämtliche Staffeln von Grey’s Anatomy an. Hirntumore, Operationen am offenen Herzen, Tote und Liebeskummer entspannen mich tatsächlich und führen mir vor Augen, wie unkomplziert mein Leben doch ist.
Am Freitag, Tag 18 seitdem das alles anfing, probieren wir mal was neues. Inzwischen bin ich wohl in den Genuss sämtlicher medizinischen Vorrichtungen und Methoden gekommen, die dieses Krankenhaus zu bieten hat.
Heute lasern wir ein wenig. Zirka 15 Schüsse werden auf mein Auge abgefeuert. Grüne Blitze sollen den einzig darstellbaren (von 4 vorhandenen) Faden trennen, um mein Sickerkissen anzuheben. Am zu hohen Druck ändert sich trotzdem nichts. Ob der Faden nun weg ist oder nicht, kann auch niemand sagen, weil eine meiner Häute im Auge wohl ungewöhnlich dick ist.
Samstag darf ich mir ein paar Stunden Urlaub nehmen. Gegen Unterschrift, dass ich gegen den Willen der Ärzte, auf eigene Gefahr und ohne Absicht, das Krankenhaus zu verklagen, bekomme ich bis Mitternacht Ausgang, um die Hochzeit einer Freundin aufzusuchen.
Mehrere Stunden verbringe ich mit meinem Styling. Frisiere die Haare so, dass sie über die komplette rechte Gesichtshälfte fallen und man weder Auge noch Allergieausschlag sehen kann. Trage eine Kontaktlinse im linken Auge und verzichte auf den Gebrauch des rechten dessen Sehvermögen selbst mit Hilfe von Sehhilfen auf 30% geschrumpft ist.
Trotz Zugabe alkoholischer Muntermacher geht es mir bescheiden während der festlichen Aktivitäten. Mein Schädel brummt und ich muss mich immer wieder setzen, um nicht aus den hohen Schuhen zu kippen. Mein Blutdruck ist seit einer Woche konstant bei 90 zu 60, was wohl dem Kreislauf nicht allzu zuträglich ist. Die Hitze tut ihr übriges und ganz im Stile von Aschenputtel ziehe ich mich punkt Mitternacht von der Party zurück.
Den Brautstrauss habe ich im übrigen auch nicht gefangen. Wie auch, halbblind im dunklen. Der Liebste bemängelte jedoch meine Initiative, die auf unserer Seite im Vergleich zur anderen sehr zu wünschen ürbig liess.
Am Montag (gestern) habe ich mich selbst entlassen.
Man weiss nicht weiter. Man könnte erneut die Netzhaut lösen und im Loch herumstochern, den Schorf zur Seite schieben. Man könnte darüber nachdenken, die gesamte Prozedur zu wiederholen und an einer neuen Stelle ein neues Loch zu bohren. Keiner kann mir garantieren, dass wenige Millimeter neben dem alten Loch meine Vernarbungstendenz auf wundersame Weise weniger stark ist. Ich habe auch keine Lust, mir einmal wöchentlich in meinem Sickerkissen herumstochern zu lassen. Man könnte auch das gesamte Sickerkissen lösen und lockerer wieder annähen.
Ich will nach Hause.
Ich schlage selbiges der Ärztin vor. Sage ihr, dass ich gerne am nächsten Montag wiederkomme, wenn mein Arzt, der mich von Anfang an nicht operieren wollte, weil er vermutlich mit genau diesen ganzen Problemen rechnete, wieder aus dem Urlaub zurück ist. Inzwischen ist er der einzige, dem ich vertraue. Er wollte mich damals bereits an ein anderes Krankenhaus verweisen, dass neuere, experimentellere Operationsmethoden anwendet. Genau darüber möchte ich am Montag mit ihm reden. Ich möchte einen Shunt. Eine kleine Röhre, die ins Auge eingesetzt wird und den Kammerwasserabfluss reguliert. Die kann dann wenigstens nicht zuwachsen. Angeblich ist diese Methode noch nicht so weit ausgereift. Verstehe ich nicht ganz, da die ersten Shunt Implantationen in den USA bereits Anfang der 70er durchgeführt wurden.
Ein gutes hat dieser ganze Mist derzeit. Wenn ich mal wieder bei einem trostlosen Abendessen mit Kunden sitze und die Gesprächsthemen drohen auszugehen, kann ich vielleicht ein keckes "Wollt ihr mal mein Sickerkissen sehen? Eine Röhre im Auge hätte ich auch noch anzubieten." in die Runde werfen.
In welche Stadt mich diese Operation demnächst verschlagen wird, weiss ich noch nicht. Hier war es letzten Endes ganz schön, weil mich Freunde, Mitarbeiter und diverse Blogger besuchen konnten und mich ein wenig abgelenkt haben. (Dafür danke ich Euch von Herzen.) Ich hoffe, dass sich in einer anderen Stadt auch jemand erbarmt. Einige, sehr liebe Angebote habe ich ja bereits ;-)
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