Cassandras Kopfkino
Freitag, 4. März 2005
TRAUMA COMPETITION
cassandra, Freitag, 4. März 2005, 22:34
Filed under: Erinnerungen
Ich würde mich prinzipiell ja sehr gerne an dem von Herrn Sebas ausgerufenen WORST TRAUMA PICTURE COMPETITION beteiligen. Ich habe zwar eine Affinität zu blauen Flecken, die aus dem Nichts entstehen, diverse Motorradunfälle hinter mir (da ich leider weder Motorrad fahren kann, noch einen Führerschein habe) und unzählige Bügeleisen- und Backofennarben (heißes Metall zieht mich magisch an), aber ich fürchte, dass dieses Material nicht ganz im Wettbewerb mithalten kann. Schlimmer noch, die meisten meiner traumatischen Erlebnisse lassen sich gar nicht in Bildern festhalten.
Über mein Erstkuss Trauma habe ich bereits ausführlich berichtet.
Heute möchte die Hintergründe zu meinem Gesangstrauma erörtern, welches im zarten Alter von 11 Jahren seinen Ursprung fand.
Meine Mutter war Musik-Pädagogin. Von der ersten bis zur fünften Klasse war sie sogar meine Musiklehrerin. Ich wurde gezwungen, in den Schulchor einzutreten und durfte mich in jungen Jahren am Erlernen des Klavier-, Flöten- und Gitarrenspiels erproben. Der Erfolg des ersteren scheiterte kläglich an meinem Unvermögen zu singen, letzteres wurde dank meiner Faulheit und meines Desinteresses zum Desaster.
Alljährlich fand in der Schule ein Talentwettbewerb statt. Ich habe ganz bestimmt einige Talente, aber irgendjemand hatte sich in den Kopf gesetzt, dass ich in der 4. Klasse ein russisches Volkslied über ein Äpfelchen in einem Korbe zum besten geben sollte. Die Melodie war extrem kompliziert, die Stimmlage weit jenseits der meinigen und der Text war (natürlich) auf russisch. Ganz schön viel für so ein kleines Geschöpf. Leider konnte ich mir die Melodie nicht merken. Sobald meine Mutter mir den ersten Ton vorgab, klappte es einigermaßen, tat sie es jedoch nicht, konnte ich nicht mehr singen, weil ich mich an keinen einzigen Ton erinnern konnte.
An meinem großen Tag stand ich (ich glaube, bei uns gab es keine Aula, es war wohl die Cafeteria, damals noch Schülerspeisung genannt) auf einer Bühne, die Augen von ca. 600 Erst- bis Zehnklässlern auf mich gerichtet und setzte zu meinem Lied an. Der erste Ton entrang sich meiner Kehle und ich wusste sofort, dass es nicht der richtige war. Und ich wusste, dass ich die Melodie des Liedes nicht mehr wusste. Also improvisierte ich. Da mir der Text bekannt war, dachte ich mir während ich sang, einfach eine neue Melodie aus. Prinzipiell ein guter Plan. Wenn man singen kann. In meinem Fall war es ein akustischer Alptraum. Ich presste die Silben und Worte, deren Bedeutung mir bis heute schleierhaft ist (wie gesagt, es ging um einen Apfel, der in irgendeinem Korb liegt), in absurde, sehr hohe Töne. Versuchte, einen großen Tonumfang darzubieten, weil dies im Original ebenso ist. Bereits nach wenigen Sekunden begannen die ersten Leute im Publikum zu lachen. Tränen bahnten sich ihren Weg in meine Augen, doch ich wollte das ganze zu einem respektierlichen Ende bringen und gab weiter fiepende Russischvokabeln von mir.
Nach der ersten Strophe war die Stimmung bei den Zuhörern äußerst ausgelassen. Schenkel wurden geklopft, Lachtränen standen in vielen Augen und die Lautstärke des grölenden Publikums übertönte inzwischen meinen Gesangsversuch. Die Schadenfreude über das Versagen der Tochter der Musiklehrerin, die auf Grund ihrer Autorität ein wenig von den Schülern gefürchtet wurde, stand in alle Gesichter geschrieben.
Heulend rannte ich von der Bühne.

Seitdem habe ich es vermieden, die Öffentlichkeit mit meinen Sangeskünsten zu belästigen. Seltsamerweise kann ich bis zum heutigen Tag die erste Strophe des Liedes singen. Ich weiß den Text auswendig und intoniere die schwierige Melodie fehlerfrei bis zu dem Punkt, an dem ich damals abgebrochen habe.

Letztes Jahr wurde ich in Cannes zu einer Party der russischen Werbeindustrie geschliffen. Weder die mich begleitenden Herren, noch ich waren eingeladen. Trotzdem wurden wir in diesem kleinen Kreise mit sehr viel Herzlichkeit geduldet. Die Party war vermutlich die beste Werberparty, auf der ich jemals war. Das Buffet war ein Traum und rief viele Kindheitserinnerungen wach. Wir tranken Wodka und eine lustig gekleidete Volksmusikcombo sorgte für die musikalische und tänzerische Unterhaltung. Ich schmolz dahin unter der Musik, die ich seit mindestens 15 Jahren nicht mehr gehört hatte. Irgendwann kam die Sängerin, eine betagte, üppig geformte Mamutschka zu unserem Tisch und fragte nach Musikwünschen. Auf Englisch erklärte ich ihr, dass ich sehr gerne das Lied von dem Äpfelchen im Korbe hören würde. Leider wusste sie auch nicht, welches Lied ich meinte, als ich ihr den russischen Text rezitierte. Erst als ich sehr leise und vorsichtig begann, das Lied zu singen, unterbrach sie mich nach den ersten Tönen, rief ihren Musikern etwas zu und sang dann MEIN Lied. Es war wunderschön. Das Publikum sang mit, tanzte und klatschte. Ich musste mich sehr beherrschen, um nicht ein weiteres Mal in meinem Leben bei diesem Lied zu weinen.

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FREITAG ABEND RESUMÉ
cassandra, Freitag, 4. März 2005, 21:15
Filed under: Alltag
Ist das mein Leben?
Nein. Wäre ja traurig.

(Aus der Reihe: "Gedanken, die aufkommen, wenn man bereits den zweiten Tag in dieser Woche verschwendet hat, um zu einem zweistündigen Termin nach München zu fliegen.")

Wenigstens eine Sache gelernt heute: man darf auf Flughäfen nicht seine eigenen Stiefel fotografieren, wenn sie auf dem Laufband des Röngtengerätes liegen. Dann bekommt man nämlich ganz viel Ärger. Schade eigentlich, ich hatte einen Fortsetzungsroman geplant.

Mein Dank des heutigen Tages geht an die Firma Osram, die die kleinen Soft Light Glühbirnen der Farbe Soft Mandarine aus dem Programm genommen haben. Nee. Schon klar, dass sich hellgrüne und hellblaue Glühbirnen besser verkaufen, als welche mit einem warmen, weißen Licht. Heute durfte ich mir wegen einer kaputten Birne 12 neue in Rosé kaufen. Jetzt habe ich ein leicht puffig ausgeleuchtetes Wohnzimmer. Passt schon.

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