Cassandras Kopfkino
DIE KUSS PHOBIE
cassandra, Dienstag, 30. November 2004, 00:17
Filed under: Soehne
Es gibt eigentlich nur zwei Dinge, vor denen ich wirklich Angst habe. Mäuse und Küsse. Erste Küsse. Ich bin kein Erst-Küsser. Egal wie lichterloh ich in Flammen stehe, wie sehr ich mich danach sehne, endlich seinen Atem das erste Mal auf meinem Gesicht zu spüren, seine Lippen mit den meinen zu berühren und ihn zu schmecken. Selbst wenn die Augen meines Gegenübers mich erwartungsvoll anschauen. Darum betteln, diese erste wirklich Intimität austauschen zu dürfen. Ich bringe es nicht über’s Herz. Ich fürchte mich vor der Zurückweisung, aber auch davor, dass mir beim ersten Berühren der Lippen kein Stromstoss durch den Körper fährt. Das stattdessen gar nichts passiert.

Schuld an der ganzen Misere ist Marcel. Ich war sieben Jahre alt und bis dato ungeküsst. Er war der Schwarm der gesamten ersten Klassenstufe. Dunkle verwuschelte Locken, ständig zu Streichen aufgelegt und ein breites Lächeln, dass alle Frauenherzen, egal ob die der Mitschülerinnen oder die der Lehrerinnen höher schlagen liess. Meine beste Freundin und ich wetteiferten fast das gesamte Schuljahr um Marcels Gunst. Doch das Bürschchen war nicht nur süß, sondern auch clever. Er konnte sich nie zwischen uns entscheiden. Mal hielt er mit der einen Händchen, mal mit der anderen. Als ich mitbekam, dass er sich nach der Schule mit meiner Freundin getroffen hatte, musste ich schleunigst etwas unternehmen, um den Punktestand wieder auszugleichen. Ich war damals sehr vorwitzig und auch um einiges forscher im Umgang mit dem männlichen Geschlecht, als ich es heute bin. Mein Selbstbewusstsein kannte keine Grenzen und ich hielt mich wohl für das unwiderstehlichste sieben-jährige Geschöpf, das jemals auf Erden wandelte. Ich ergriff die Initiative. Der Plan war kinderleicht.
Wir mussten damals in der ersten Klasse zwischen der Mittagspause und dem Hort Mittagsschlaf machen. Dafür wurden im Klassenzimmer alle Tische und Stühle zur Seite geschoben und Liegen aufgebaut. Diese halbe Stunde war die schönste des Tages. Es wurde herumgetobt, sich gegenseitig beim Ausziehen geneckt und die Streitigkeiten des Tages wurden in dem Tumult ausgekämpft (ich erinnere mich gerade daran, dass ich Marcel damals mal gegen die Heizung geschupst habe und er sich dabei den Kopf aufschlug. Aber das war DANACH)
Ich vermute, heutzutage wäre so etwas wie eine geschlechterübergreifende Mittagspause in der Schule unvorstellbar, denn immerhin bekommen die heranreifenden Mädchen und Jungen sich dabei nackt zu sehen.
Das alltägliche Chaos wollte ich für meine Plan ausnutzen. Während eine Horde Kinder durch den Raum lief und schrie, weil mal wieder irgendjemand den Schlafanzug eines anderen entwendet hatte, schnappte ich mir Marcel und sagte ihm, dass ich ihm etwas zeigen müsste. Sein Interesse war eher gering. Ich erzählte ihm, dass ich ein großes Geheimnis hätte, das niemand kennen würde und das ich es ihm allein zeigen würde. Natürlich unter der Bettdecke, damit niemand anderes es sehen täte. Nun wurde er schon ein kleines bisschen neugierig. Ich ging mit ihm zu meiner Pritsche und wir steckten die Köpfe unter die Bettdecke. Im Dunklen presste ich ihm meinen Mund ganz fest auf seinen, dann hob ich die Bettdecke und strahlte ihn glücklich an. Er schaute irritiert zurück, zog die Augenbrauen hoch und fragte ungeduldig, wo denn nun das Geheimnis wäre. Immer noch strahlend versicherte ich ihm, dass das es dieser Moment gewesen war. Er rümpfte die Nase und meinte ungläubig „und das war alles?“. Dann wandte er sich genervt von mir ab, um den anderen Kindern hinterherzulaufen.
Ich glaube, ich habe diese Abfuhr bei meinem ersten Kuss wohl nie ganz überwunden. Aber ich habe gelernt, damit umzugehen. Wenn ich mit einem eher schüchternen Exemplar Mann konfrontiert bin, den ich gerne küssen würde, erzähle ich ihm die Geschichte meines ersten Kusses. Diesen Wink mit dem ganzen Lattenzaun hat bisher jeder verstanden. (Und selbst, wenn das Interesse nur von meiner Seite ausgeht, so errege ich doch zumindest Mitleid ;-)

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kid37, Dienstag, 30. November 2004, 01:38
Also, Küssen im Dunkeln - und dann so eine gelangweilte Reaktion? Lassen Sie mich raten, ihr Kußpartner tendiert heute eher zu einer eingetragenen Lebenspartnerschaft?

Leider habe ich ihn im zarten Alter von 12 aus den Augen verloren. Auch Google findet ihn nicht. Schade eigentlich. Ich bin schon neugierig, was aus ihm geworden ist.
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snoop, Freitag, 23. September 2005, 02:50
Lattenzaun
"Wenn ich mit einem eher schüchternen Exemplar Mann konfrontiert bin, den ich gerne küssen würde, erzähle ich ihm die Geschichte meines ersten Kusses. Diesen Wink mit dem ganzen Lattenzaun hat bisher jeder verstanden."

Raffiniert :)

Auslöser
Als Betroffener ist doch interessant zu sehen, wie einschneidend solche Erlebnisse sein können. Aber wie immer wurde die Reaktion (von Mann) nach dieser gerissenen Aktion (von Frau) fälschlich interpretiert. Ich habe ihr leider nie erzählt, wie sehr mich dieser Moment beeindruckt hat. Dessen war ich mir mit 7 noch nicht bewußt.

:-)
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