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DER MANN, DER BEINAHE IN MEINEM BADEZIMMER STARB
cassandra, Sonntag, 7. November 2004, 01:43
Filed under: Soehne
hat sich neulich bei mir gemeldet. Mich ereilte eine SMS mit dem Wortlaut: „Bin gerade in der Stadt. Wollen wir uns auf einen Kaffee treffen und uns mal wieder anzicken?“. Ich schrieb ihm zurück, dass ich keine Lust habe. Er antwortete: „Ich eigentlich auch nicht.“
Ich glaube, er ist hierher gezogen, arbeitet jetzt in der neu-eröffneten Niederlassung unserer Konkurrenz.
Diese Geschichte ist bereits fast zwei Jahre her. Eine weitere kurze aber langatmige Anekdote aus meinem lustigen Singleleben.
Ich hatte mich mal wieder in die Idee verrannt, in jemanden verliebt zu sein. Er behandelte mich mit dieser Mischung aus Interesse und Gleichgültigkeit, die bei mir offensichtlich prinzipiell das Hirn ausschaltet. Eigentlich kannte ich ihn gar nicht. Wir hatten bei einigen Projekten zusammen gearbeitet. Monatelang spielte er kleine Psycho-Spielchen, die mich zu einem unsicheren, komplexbeladenen Geschöpf machten. Manchmal war er total lieb und suchte meine Nähe, nur um mir im nächsten Augenblick mit dem Baseballschläger eins überzuziehen.
Der Sex mit ihm war miserabel. Aber auch sehr lehrreich. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich schlechten Sex immer mit einer Art Aerobic Stunde verglichen. Stumpfsinnige Bewegungen zu dümmlicher Musik, langweilig, langatmig und anstrengend. Aber man fühlt sich danach angenehm leer und erschöpft. Selbst schlechter Sex ist also nicht wirklich schlecht. Nur belanglos. Bis ich mit diesem Herren die körperliche Vereinigung vollzog. Die Tragödie war noch nicht einmal in mangelndem Begehren begründet. Wir waren geil aufeinander. Wir verbrachten elektrisierende Abende in Kneipen und Bars miteinander. Saßen stundenlang knutschend in dunklen Ecken herniedergekommener Spelunken. Selbst wenn wir nur job-bezogen miteinander zu tun hatten, war da stets eine unterschwellige Spannung zwischen uns. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem sich die Wohnungstür schloss. Ab da war es nur noch grauenvoll. Scheinbar gibt es Menschen, die nicht dafür bestimmt sind, miteinander zu verkehren. Trotzdem, oder vielleicht genau deswegen, versucht man es immer wieder. Das Ego will sich einfach nicht mit der Tatsache abfinden, schlechten Sex zu haben.
Er kommt ursprünglich aus meiner Stadt und benutze meine Wohnung als Hotelzimmer, wenn er seine Freunde besuchte. Seine Mutter wohnt zwar auch hier, aber ich war weniger nervig und bot die besagte Möglichkeit, das Selbstwertgefühl wieder herzustellen.
An einem schönen Morgen in einem vergangenen Sommer, nach einem erneuten Akt der Frustration wollte er duschen. Unschlüssig streifte ich in meinem hellblauen Bademantel durch die Wohnung. Ich überlegte, wie es weitergehen sollte. Es ging nicht um den großen Plan. Langsam näherte ich mich der Erkenntnis, dass mir nicht wirklich etwas an ihm lag. Meine Gedanken kreisten um das Thema der Nahrungsaufnahme. Ich bin ein ausgesprochen wohl erzogenes Persönchen und es liegt mir nicht, jemanden einfach vor die Tür zu setzen. Sollte ich Frühstück machen oder ihn zu selbigem außerhalb der Wohnung einladen? Ein plötzlicher Rumms riss mich aus meinen tiefschürfenden Entscheidungsfindungssprozess. Erschrocken sah ich mich um. Die Vertiefung in innere Konflikte macht ja bekanntlich blind für die Details der Umwelt und so war es gut möglich, dass mir da gerade was entgangen war. Alles sah so aus wie immer. In meiner Erinnerung konnte ich die Richtung des Geräusches nicht orten. Es war laut gewesen und klang metallisch. Vielleicht war ja der Schrank mit den Reinigungsmitteln in der Gästetoilette heruntergefallen. Ich hatte ihn selbst angebracht und daher lag diese Möglichkeit durchaus im Bereich des wahrscheinlichen. Ich warf einen Blick hinein. Nichts. Unschuldig hing der Schrank an der Wand. In diesem Moment rummste es erneut. Lauter als beim letzten Mal. Es klang, als würde Glas zerspringen. Diesmal war ich mir sicher, dass der Lärm aus dem Bad kam. Doch ihm folgte kein peinlich-berührtes „Oh. Tut mir leid, ich habe da gerade...“ Warum zerlegte der Kerl mein Badezimmer? Klopft man in einem solchen Moment eigentlich an? Ich weiss nicht mehr, ob ich es tat. Als ich vorsichtig versuchte, die Tür zu öffnen, war sie von innen blockiert. Ich drückte ein bißchen fester und da sah ich ihn. Er lag auf dem Boden. Sein Gesicht war grau. Blut und Schaum spuckte aus seinem Mund. In seinen Augen war nur noch das Weisse zu sehen und sein Körper zuckte wild hin und her. Ich kann mich nicht mehr erinnern, was ich tat. Ich glaube, ich wurde hysterisch. Schrie und weinte. Redete auf ihn ein, schüttelte ihn. Seltsamerweise weiss ich noch genau was ich dachte. Ich habe noch nie einen Schlaganfall oder Herzinfarkt gesehen. Auch keinen epileptischen Anfall. Ich wusste nur: der Typ stirbt gerade. In meinem Badezimmer. Und er ist nackt. Sein Handy liegt auf dem Tisch in der Küche. Ich muss seine Mutter anrufen. Unter welchen Namen hat er sie wohl abgespeichert? Ich muss sie anrufen, ihr erklären, warum sie gar nicht weiss, dass ihr Sohn in der Stadt ist. Und muss ihr erklären, warum ihr Sohn nackt auf meinen weissen Badezimmerfliesen gestorben ist. Jemand anderes musste es ihr erklären. Ich wählte den Notruf der Feuerwehr. Machte aber nichts. Die sitzen nämlich gleich um die Ecke und haben eigene Krankenwagen. Innerhalb von 5 Minuten waren sie da. Die Jungs stellten mir dutzende Fragen, die ich nicht beantworten konnte. „Ist das schon mal vorgekommen?“, „Weiss ich nicht.“, „Geburtsdatum?“ Schulterzucken und große Augen, „Nimmt er Medikamente?“ „Keine Ahnung.“, „Lass uns mal im Badezimmer nachsehen, ob da Medikamente rumstehen.“, „Das ist mein Badezimmer. Da stehen keine Medikamente von ihm rum.“. In diesem Augenblick begriffen sie wohl die Situation und grinsten sich wissend an. Plötzlich war mir das ganze peinlich. Auch die Tatsache, dass ich gedacht hatte, dass er sterben würde. Da saß der arme Kerl nun auf meinem Sofa. Splitterfasernackt. Konnte sich kaum aufrecht halten. Kam langsam zu sich. Wusste nicht, wie er heisst und wo er war. Ich begleitete ihn ins Krankenhaus und danach gingen wir frühstücken. Es stellte sich heraus, dass er des öfteren derartige Anfälle hat. In der Regel, wenn er in den Tagen davor viel „gefeiert“ hatte. Ich wollte gar nicht wissen, was er damit meinte. Er machte mir Vorwürfe, dass ich überhaupt einen Krankenwagen gerufen hatte. Dann fuhr er nach Hause.
Ich wollte nicht nach Hause und spazierte stundenlang durch die Gegend. Die ganze Zeit hatte ich diesen merkwürdigen Geruch in der Nase, von dem mir ganz schlecht wurde. Es roch nach Eisen, Tod, vielleicht auch nur nach Blut. Als ich irgendwann dann doch nach Hause kam und das blutbespritzte Bad säuberte, musste ich mich übergeben. An diesem Tag blieb ich sehr lange auf. Ich hatte Angst, ins Bett zu gehen. Hatte Angst, diese Bilder nicht aus meinem Kopf zu bekommen. Irgendwann konnte ich mich jedoch nicht mehr länger auf den Beinen halten. Ich ging ins Bad, zog mich aus, den Bademantel an und schaute in den Spiegel. Der Kragen des Bademantels war blutgetränkt. Ich erinnerte mich, dass ich ihn in den Arm genommen und an mich gedrückt habe, während ich weinte.
Ich glaube, er ist hierher gezogen, arbeitet jetzt in der neu-eröffneten Niederlassung unserer Konkurrenz.
Diese Geschichte ist bereits fast zwei Jahre her. Eine weitere kurze aber langatmige Anekdote aus meinem lustigen Singleleben.
Ich hatte mich mal wieder in die Idee verrannt, in jemanden verliebt zu sein. Er behandelte mich mit dieser Mischung aus Interesse und Gleichgültigkeit, die bei mir offensichtlich prinzipiell das Hirn ausschaltet. Eigentlich kannte ich ihn gar nicht. Wir hatten bei einigen Projekten zusammen gearbeitet. Monatelang spielte er kleine Psycho-Spielchen, die mich zu einem unsicheren, komplexbeladenen Geschöpf machten. Manchmal war er total lieb und suchte meine Nähe, nur um mir im nächsten Augenblick mit dem Baseballschläger eins überzuziehen.
Der Sex mit ihm war miserabel. Aber auch sehr lehrreich. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich schlechten Sex immer mit einer Art Aerobic Stunde verglichen. Stumpfsinnige Bewegungen zu dümmlicher Musik, langweilig, langatmig und anstrengend. Aber man fühlt sich danach angenehm leer und erschöpft. Selbst schlechter Sex ist also nicht wirklich schlecht. Nur belanglos. Bis ich mit diesem Herren die körperliche Vereinigung vollzog. Die Tragödie war noch nicht einmal in mangelndem Begehren begründet. Wir waren geil aufeinander. Wir verbrachten elektrisierende Abende in Kneipen und Bars miteinander. Saßen stundenlang knutschend in dunklen Ecken herniedergekommener Spelunken. Selbst wenn wir nur job-bezogen miteinander zu tun hatten, war da stets eine unterschwellige Spannung zwischen uns. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem sich die Wohnungstür schloss. Ab da war es nur noch grauenvoll. Scheinbar gibt es Menschen, die nicht dafür bestimmt sind, miteinander zu verkehren. Trotzdem, oder vielleicht genau deswegen, versucht man es immer wieder. Das Ego will sich einfach nicht mit der Tatsache abfinden, schlechten Sex zu haben.
Er kommt ursprünglich aus meiner Stadt und benutze meine Wohnung als Hotelzimmer, wenn er seine Freunde besuchte. Seine Mutter wohnt zwar auch hier, aber ich war weniger nervig und bot die besagte Möglichkeit, das Selbstwertgefühl wieder herzustellen.
An einem schönen Morgen in einem vergangenen Sommer, nach einem erneuten Akt der Frustration wollte er duschen. Unschlüssig streifte ich in meinem hellblauen Bademantel durch die Wohnung. Ich überlegte, wie es weitergehen sollte. Es ging nicht um den großen Plan. Langsam näherte ich mich der Erkenntnis, dass mir nicht wirklich etwas an ihm lag. Meine Gedanken kreisten um das Thema der Nahrungsaufnahme. Ich bin ein ausgesprochen wohl erzogenes Persönchen und es liegt mir nicht, jemanden einfach vor die Tür zu setzen. Sollte ich Frühstück machen oder ihn zu selbigem außerhalb der Wohnung einladen? Ein plötzlicher Rumms riss mich aus meinen tiefschürfenden Entscheidungsfindungssprozess. Erschrocken sah ich mich um. Die Vertiefung in innere Konflikte macht ja bekanntlich blind für die Details der Umwelt und so war es gut möglich, dass mir da gerade was entgangen war. Alles sah so aus wie immer. In meiner Erinnerung konnte ich die Richtung des Geräusches nicht orten. Es war laut gewesen und klang metallisch. Vielleicht war ja der Schrank mit den Reinigungsmitteln in der Gästetoilette heruntergefallen. Ich hatte ihn selbst angebracht und daher lag diese Möglichkeit durchaus im Bereich des wahrscheinlichen. Ich warf einen Blick hinein. Nichts. Unschuldig hing der Schrank an der Wand. In diesem Moment rummste es erneut. Lauter als beim letzten Mal. Es klang, als würde Glas zerspringen. Diesmal war ich mir sicher, dass der Lärm aus dem Bad kam. Doch ihm folgte kein peinlich-berührtes „Oh. Tut mir leid, ich habe da gerade...“ Warum zerlegte der Kerl mein Badezimmer? Klopft man in einem solchen Moment eigentlich an? Ich weiss nicht mehr, ob ich es tat. Als ich vorsichtig versuchte, die Tür zu öffnen, war sie von innen blockiert. Ich drückte ein bißchen fester und da sah ich ihn. Er lag auf dem Boden. Sein Gesicht war grau. Blut und Schaum spuckte aus seinem Mund. In seinen Augen war nur noch das Weisse zu sehen und sein Körper zuckte wild hin und her. Ich kann mich nicht mehr erinnern, was ich tat. Ich glaube, ich wurde hysterisch. Schrie und weinte. Redete auf ihn ein, schüttelte ihn. Seltsamerweise weiss ich noch genau was ich dachte. Ich habe noch nie einen Schlaganfall oder Herzinfarkt gesehen. Auch keinen epileptischen Anfall. Ich wusste nur: der Typ stirbt gerade. In meinem Badezimmer. Und er ist nackt. Sein Handy liegt auf dem Tisch in der Küche. Ich muss seine Mutter anrufen. Unter welchen Namen hat er sie wohl abgespeichert? Ich muss sie anrufen, ihr erklären, warum sie gar nicht weiss, dass ihr Sohn in der Stadt ist. Und muss ihr erklären, warum ihr Sohn nackt auf meinen weissen Badezimmerfliesen gestorben ist. Jemand anderes musste es ihr erklären. Ich wählte den Notruf der Feuerwehr. Machte aber nichts. Die sitzen nämlich gleich um die Ecke und haben eigene Krankenwagen. Innerhalb von 5 Minuten waren sie da. Die Jungs stellten mir dutzende Fragen, die ich nicht beantworten konnte. „Ist das schon mal vorgekommen?“, „Weiss ich nicht.“, „Geburtsdatum?“ Schulterzucken und große Augen, „Nimmt er Medikamente?“ „Keine Ahnung.“, „Lass uns mal im Badezimmer nachsehen, ob da Medikamente rumstehen.“, „Das ist mein Badezimmer. Da stehen keine Medikamente von ihm rum.“. In diesem Augenblick begriffen sie wohl die Situation und grinsten sich wissend an. Plötzlich war mir das ganze peinlich. Auch die Tatsache, dass ich gedacht hatte, dass er sterben würde. Da saß der arme Kerl nun auf meinem Sofa. Splitterfasernackt. Konnte sich kaum aufrecht halten. Kam langsam zu sich. Wusste nicht, wie er heisst und wo er war. Ich begleitete ihn ins Krankenhaus und danach gingen wir frühstücken. Es stellte sich heraus, dass er des öfteren derartige Anfälle hat. In der Regel, wenn er in den Tagen davor viel „gefeiert“ hatte. Ich wollte gar nicht wissen, was er damit meinte. Er machte mir Vorwürfe, dass ich überhaupt einen Krankenwagen gerufen hatte. Dann fuhr er nach Hause.
Ich wollte nicht nach Hause und spazierte stundenlang durch die Gegend. Die ganze Zeit hatte ich diesen merkwürdigen Geruch in der Nase, von dem mir ganz schlecht wurde. Es roch nach Eisen, Tod, vielleicht auch nur nach Blut. Als ich irgendwann dann doch nach Hause kam und das blutbespritzte Bad säuberte, musste ich mich übergeben. An diesem Tag blieb ich sehr lange auf. Ich hatte Angst, ins Bett zu gehen. Hatte Angst, diese Bilder nicht aus meinem Kopf zu bekommen. Irgendwann konnte ich mich jedoch nicht mehr länger auf den Beinen halten. Ich ging ins Bad, zog mich aus, den Bademantel an und schaute in den Spiegel. Der Kragen des Bademantels war blutgetränkt. Ich erinnerte mich, dass ich ihn in den Arm genommen und an mich gedrückt habe, während ich weinte.
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