Cassandras Kopfkino
ICH LESE GERADE
cassandra, Dienstag, 16. November 2004, 13:11
Filed under: Kopfkram
"Ende gut" von Sibylle Berg.
Misanthropen, die es geniessen, knietief im Schlamm des menschlichen Elends zu waten, sei dieses Buch wärmstens ans Herz gelegt. Die Lektüre passt zu den grauen, nassen Tagen dieser Nicht-Jahreszeit und schafft es fast, mich noch weiter in den Strudel von Belanglosigkeit und Tristesse hinabzureissen.
Aber eben nur fast. Frau Bergs Worte lassen meinen Willen dagegen aufbegehren, nicht zu den von ihr beschriebenen Geschöpfen zu gehören.
Mir hat einmal jemand gesagt, ich müsste mich mit der Tatsache abfinden, dass ich nichts besonderes bin. Dass ich keine besonderen Talente habe, die Zukunft keine speziellen Pläne für mich bereit hält, dass ich lebe, um zu schlafen, zu arbeiten, zu essen und dass ich dazu verdammt bin, die Stunden dazwischen mit sinnlosen Ablenkungen zu vertrödeln, um mir der Langenweile nicht bewusst zu werden. Erst wenn ich aufhören würde zu warten, zu träumen, zu kämpfen und mich mit der Trostlosigkeit der eigenen Person und des eigenen Lebens abfinden würde, könnte ich glücklich sein. In diese Kerbe treffen auch Frau Bergs Ausführungen.
(ich habe das Buch ja noch nicht durchgelesen und warte gespannt darauf, wie sie es schaffen will, dem Titel des Buches zu einem Sinn zu verhelfen.)
Als mir damals diese Person auf ganz nüchterne Art diese, ihre Weisheiten an den Kopf schlug, war ich zutiefst enttäuscht und entsetzt. Ich ziehe es vor, mein ganzes Leben mit Träumereien und Spinnereien zu verbringen, Dummheiten zu begehen, gerne die gleichen auch immer wieder, aber ich werde mich niemals damit abfinden, nicht etwas besonderes zu sein. Das sollte sich übrigens niemand.

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12sek, Dienstag, 16. November 2004, 13:15
bleiben sie
wie sie sind. machen sie sich nicht zuviele gedanken. leben sie das, was ihnen gefällt und auch das, was nicht gefällt. alles ergibt ein ganzes und da ist gut so.

Sie haben ja recht.
Ich bin es nur satt, vorgehalten zu bekommen, dass es so etwas wie ein erfülltes Leben nicht geben kann.
Menschen, die glücklich sind, wird unterstellt, dass sie nur nicht in der Lage sind, ihr eigenes Elend zu erkennen. Und das empfinde ich als riesigen Bullshit.

ist es auch!
Alles ist gut. Alles. Der Mensch ist unglücklich, weil er nicht weiß, dass er glücklich ist. Nur deshalb. Das ist alles, alles! Wer das erkennt, der wird gleich glücklich sein, sofort, im selben Augenblick.
(Dostojewski, Dämonen)

Dem schliesse ich mich kommentarlos an.

frau cassandra
ich verstehe sie sehr, sehr gut und glauben sie mir, noch viel mehr als nur gut. aber es ist einfach so, dass man für sich lernen muß, nicht in die opferrolle zu rutschen, auch wenn die am leitesten fällt. pobacken zusammen und durch damit. ist nicht leicht, ich weiß das und ich schaffe es - leider - auch nicht immer. aber es lohnt sich, es zu versuchen.
ihnen viel kraft dafür.

Oh, ich habe die Pobacken zusammengedrückt, die Brust rausgestreckt, und das Kinn empor gereckt. Als Opfer habe ich mich noch nie geeignet.

das
freut mich zu hören :-)

Schnicki Schnacki
Das, was die liebreizende Cassandra vorgehalten bekommen hat, ist die Realität. Selbst in Watte eingepackt, ohne ökonomische Sorgen, liebend und geliebt, werden wir Grund zur Sorge, zum Hass, zur Abneigung, zum Neid oder zum Verzweifeln haben. Und das ist gut so, denn es bedeuted Dynamik und Entwicklung.

Die mangelnde Befriedigung materieller, emotionaler, intellektueller und körperlicher Bedürfnisse sind lediglich äußere Faktoren, die aber keineswegs ausschlaggebend für Glück sein sollten und können. Von daher hat auch das "Vorhandensein" selbiger nichts zu tun mit dem, was ich meine.
Ich denke, das ein jeder Mensch für seine Realität verantwortlich ist. Und es ermüdet mich, meine Realität Leuten gegenüber zu rechtfertigen, die blasierte Pessimisten (das ist allgemein gemeint und nicht auf Dich bezogen) sind, sich aber unter dem Mäntelchen, Realist zu sein verstecken.
Gefühle wie Hass, Abneigung und Neid basieren im allgemeinen auf Angst und ich bezweifle, dass Angst ein treibender Aspekt für Dynamik und Entwicklung darstellt. Ganz im Gegenteil, sie hemmt, Fehler und Unzulänglichkeiten zu erkennen und zu verbessern. Wenn man sich im Schlamm suhlt, sich immer weiter und tiefer hineinwühlt und sich selbst angesichts des Drecks bejammert, wird man sich eines Tages in dem Gematsche heimisch fühlen.
Wer sich damit abfinden möchte, der soll tun wie ihm beliebt, jedoch sollte er kein Mitleid erwarten oder gar seine Sichtweise anderen aufoktroyieren.
Es ist ja so schön, sich selbst zu bemitleiden, fast noch schöner, als bemitleidet zu werden. Ich kann ja nichts dafür, dass ich unglücklich / unfähig / einsam / usw. bin, ich bin es ja auch gar nicht wert, ich bin schlecht, meine Leben bedeutungslos, ich bin sozial / emotional / intellektuell unfähig, daran etwas zu ändern. Die anderen haben nur noch nicht erkannt, dass es ihnen auch so geht. Sie blenden sich selbst, verleugnen ihr eigenes Elend, in dem sie sich mit Menschen / Träumen / materiellen Dingen umgeben, aber eines Tages werden sie erkennen, dass sie genau so eine arme Sau sind, wie ich.
Ich kotze.

Und wohl gemerkt, ich rede hier vom persönlichen Glück und beziehe mich dabei nicht auf das Wohl der Menschheit. Das liegt nicht nur nicht in meinem Ermessen, sondern ist zudem zu umfangreich für einen Kommentareintrag.

jesses,
da haben sie aber mal richtig dampf abgelassen. nur weiter so ...

Danke.
Ich fühle mich auch angenehm erleichtert. ;-)

Gut gebrüllt Löwin, Respekt
Glück ist so subjektiv wie das Empfinden für Temperatur. Persönliches Glück ist aber immer mit der empfindenden Person gekoppelt. Eine Person ist die Summe seiner Erfahrung, Werte, Normen, Überzeugungen und Gefühle. All das erfährt und gewinnt Sie aber nur in der Interaktion mit der Umwelt sprich den äußeren Faktoren. Insofern sind diese sehr wohl für das Glück des Einzelnen mitbestimmend und hängen im Grossen und Ganzen vom sozioökonomischen Hintergrund einer Gesellschaft ab. Wer würde sich bei uns glücklich schätzen, für die heilige Sache zu sterben? Die Realität bauen wir uns alle selbst, kein Zweifel darüber, aber Angst ist ein Gefühl, dass uns ebenfalls zu ganz außerordentlichen Dingen beflügeln kann. „Ich hatte Angst, dass das Kind ertrinken würde, deswegen sprang ich hinterher…“ Das augenscheinlich Negative gilt es zweimal zu betrachten, denn der erste Eindruck täuscht ganz oft.
Ich denke die ganze Thematik ist sehr vielschichtig und ich respektiere Deine Meinung. Sei Dir versichert, ich bin weder Pessi- noch Optimist auch kein Realist. Ich bin Ich. Und weil das so ist, glaube ich einfach, dass man/frau nur durch kontroversen Diskurs vorankommt und man einen Eimer voll Mist auch als einen solchen benennen muss, auch wenn das unserem persönlichem Glück eher abträglich ist. Alles andere halte ich für begnügsame Dekadenz. Insofern bin ich Dankbar und glücklich, dass Du diesen Diskurs nicht scheust ;-))
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phileas, Dienstag, 16. November 2004, 16:13
Diese strikte Leugnung
individuellen Besondersseins ist doch eigentlich so was für Diktaturen. "Du bist nichts, dein Volk ist alles."
Ein prima Unterdrückungswerkzeug, wenn Sie mich fragen.
Wird auch von Religionen gern genommen.
Wenn man das eigene Leben nicht als etwas besonderes und einzigartigartiges begreifen und annehmen wollte, wofür sollte man dann leben?!
Von Frau Berg hab ich mal ein Buch über Männer gelesen. "Herrengeschichten" oder so ähnlich. Da verging mir alles bei. In der Hoffnung auf eine Art message las ich es durch. Aber von einem gewissen ironischen Beigeschmack, der gelegentlich aufkam, abgesehen, kam nichts an bei mir. Habe mich geärgert über die schlechte Laune, die ich beim Lesen bekam.
Hier bei Ihnen bessert sich meine Laune gerade sehr.

Oh, ich bin heute recht streitlustig. Ihre Anspielung auf die Religionen ist ein erneutes Reizwort. Aber ich beruhige mich jetzt erst mal ein wenig, bevor ich weiter poltere. ;-)
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