Cassandras Kopfkino
WIE KÖNNEN WIR MEHR KOHLE MACHEN
cassandra, Samstag, 30. Oktober 2004, 00:25
Filed under: Alltag
und zu besseren Dienstleistern werden?
Heute und morgen hatte / hat unsere Firma ein Seminar, das sich offiziell der Verbesserung der Macken in den Kommunikationsstrukturen in unserer Firma widmet. Wir sind eine 20 Angestellte umfassende - äh... nun nennen wir es mal - Filmproduktion.
Abgesehen von meinem Chef, meinem lieben Freund und Kollegen K., der eher ein freier fester Mitarbeiter ist und drei Jüngelchen, die gerade ein Praktikum oder eine Ausbildung machen, sind alle weiblich. Wenn ich es mir recht überlege, könnte man K. eigentlich auch als Frau bezeichnen. Er kann wunderbar zuhören, ist eine Mega-Zicke, schnell beleidigt und die größte Tratsche, die ich kenne.
Da wir alle Frauen, die nicht zu uns passen, grundsätzlich vergraulen, sind wir ein sehr homogener Haufen, der nicht nur die Arbeit miteinander teilt, sondern auch sämtliche Details aus dem Privatleben. Ein großer schwatzendender, manchmal zickiger, aber lustiger Hühnerhaufen. Allen voran unser Hahn, der gerade inmitten seiner Midlife crisis steckt. Daher trafen wir uns heute in einem plüschigen kleinen Hotel, um mal über unsere Probleme zu reden.

Vor etwa drei Jahren hatten wir schon einmal ein Firmenseminar. Furchtbar. Ein Puschelseminar, in dem es darum ging, dass wir uns alle ganz doll lieb haben. Und noch lieber haben wir unsere Kunden. Und wenn wir mal böse auf die sind, stellen wir uns vor einen Spiegel, grinsen unser Gegenüber an und wiederholen so lange "Ich liebe meinen Kunden", bis wir es selbst glauben.
Der heutige Tag ging dann schon etwas mehr an die Substanz. Wenn wir uns nicht wirklich alle ganz furchtbar lieb hätten, wären Blut und Tränen geflossen.

Der Anfang war eigentlich ganz lustig. Jeder von uns musste einen Test ausfüllen, der in seinem Niveau stark an einen der Psychotest aus einem Frauenmagazin erinnerte. K. betitelte das ganze sehr treffend mit "Horoskopgeschwafel". Um so überraschender waren die Ergebnisse: Unsere Persönlichkeiten wurden unterschiedlichen Gruppen zugeordnet. Da gab es die Promoter: spaßorientierte Menschen, die sehr motivierend, lustig und verpeilt sind. Unpünktliche, begeisterungsfähige, auf-tausend-hochzeiten-tanzende Chaoten, die gerne im Mittelpunkt stehen und mit einem optimistischen "das-wird-schon-alles-klappen" in die Welt hinaushüpfen. Die ziel-orientierten Direktoren gehen im Gegensatz dazu klar strukturiert an die Erfüllung von (eigenen) Zielen heran. Sie sind gefühlskalt, fordernd, ungeduldig, wettbewerbsorientiert und ziehen quantitative Ziele den qualitativen vor. Dann gab es noch die Unterstützer/Überprüfer: sehr sensibel, harmonie- und anleitungsbedürftig. Promotoren und Direktoren liegen verständlicherweise ständig im clinch miteinander. Mein Chef wurde den Promotern zugeordnet, während die ihm direkt unterstehende Führungsriege (so auch K. und ich) alle Direktoren waren. Dadurch erklärten sich auch viele der Konflikte, die wir ständig miteinander haben. Der (manchmal) mangelnde Respekt ihm und seinem Führungsstil gegenüber. Überhaupt stimmten die Zuordnungen tatsächlich sehr gut mit den Personen überein. Es ist natürlich sehr ernüchternd, mich selbst in der Gruppe der kalten Langweiler zu sehen, aber ich tröste mich einfach mal mit dem Gedanken, dass sich dies nur auf meine Job-Persönlichkeit bezieht. Nein, ich bin kein schlechter Mensch! Ich liebe nur meinen Job. (So.)
Außerdem weiß ich jetzt, dass der Mann, den ich "suche" (na, nicht wirklich), ein Direktor sein muss. Das gibt nämlich sehr viel Reibung und Spannung. Die andere Gruppe wäre mir zu unterwürfig / harmoniebedürftig, die andere würde mich früher oder später in den Wahnsinn treiben.
Danach mussten wir uns einen 35minütigen Film über Paradigmen ansehen.

Man hätte ihn gut auf 6 Minuten kürzen können. Unser Seminarleiter erklärte uns, dass er aus den 90ern stammte und für Männer in Geschäftsführungspositionen gedreht wurde. Daher die ständigen Wiederholungen und plakativen mit-dem-hammer-auf-den-kopf-gehaue. Die kapieren das sonst nicht.
Nach dem Mittagessen mussten wir in Gruppen die uns hemmenden Paradigmen herausfinden und anschließend präsentieren. Ich als Direktor bin natürlich jedes Mal vorgeprescht, um die Ergebnisse darzustellen. Ich weiß auch nicht, warum ich das immer tu'. Ich stehe dann da vor allen Leuten, die ich sehr gut kenne und werde rot und verfussel mich. Glücklicherweise sieht und merkt das nie jemand. Die besserwisserische Seite an mir will immer reden, aber die unsichere bekommt Panik und hat das Gefühl, nackt zu sein und ausgebuht zu werden. Schrecklich. Muss ich dran arbeiten.
Zum Schluss haben wir Ziele formuliert, die uns besser machen. Das wird dann morgen ausgewertet. Bin ja mal gespannt.
Der heutige Tag wurde sehr persönlich, man wurde angegriffen, verteidigte sich oder holte zum Gegenschlag aus. Wir wurden in Schubladen gesteckt, die - wenn man schon in Schubladen gesteckt werden muss - sich sogar ziemlich heimisch anfühlten. Es ist beunruhigend, seine Unzulänglichkeiten aufgezeigt zu bekommen. Den eigenen begrenzten Horizont, die eigene Intoleranz und Unvollkommenheit. Ich habe jetzt aber auch eine ungefähre Vorstellung davon, wie ich selbst zu einem besseren Mitarbeiter und somit auch Menschen werden kann. Schau'n wir mal.

post scriptum:
Während ich das alles schrieb, habe ich die ganze Zeit gedacht: nicht gut, dass Du das jetzt posten willst.
1.) Interessiert es niemanden.
2.) Müsste ich mehr Kritik an dieser Art von Seminaren üben, die ja letzten Endes nur der Manipulation dienen, uns alle zu besseren, funktionierenden Schräubchen im Getriebe der kapital-und erfolgs-orientierten Gesellschaft zu machen.
3.) Oute ich mich gerade als Direktor.

Aber. Das ist ja mein Weblog. Da kann ich hinschreiben, was ich will.
zu 1.) Ist auch egal, wenn mich jetzt niemand mehr mag. Ich schreibe ja Dinge, die MICH beschäftigen, die ICH erlebt habe. Wenn es niemanden interessiert, sollte es mir egal sein.
zu 2.) Jaaaaa. Aber ich bin neugierig. Lerne mich und meine Fehler gerne besser kennen. Erst mal machen und ausprobieren und danach kritisieren.
zu 3.) Muss ich wohl mit leben. Ich habe neulich einen Test in einer Zeitschrift :-) gemacht, der mir (bestätigte) sagte, dass ich eine Prinzessin bin. Leider stimmte das sogar. Ich möchte von allen geliebt und respektiert werden, brauche ständige Bestätigung, bestimme gerne, wo es lang geht, brauche Aufmerksamkeit, bin sauer, wenn ich selbige nicht bekomme und denke, dass ich die Weisheit mit Löffeln gefressen habe. Der Artikel lieferte auch gleich die Erklärung dazu: meine Eltern sind schuld. Sie haben mich geliebt, immer unterstützt, vergöttert und bewundert (anders als meine Schwester, aber ich bin ja auch die Erst-gebohrene). Die armen, wie sie es auch machen, ist es falsch. Ich weiß gar nicht, ob ich so eine Verantwortung übernehmen will. Also Fazit: Man ist, wer man ist. man kann ja versuchen, daran zu arbeiten.


P.P.S.: Punkt eins auf meiner To-Do-Liste um zu einem besseren Menschen zu werden:
Ich sollte aufhören, mich zu rechtfertigen.

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